2022 endet, wie es begonnen hat: Die hier prophezeiten großen Themen können alle auf Wiedervorlage gelegt werden. Die große Facebook-Dämmerung kam nicht – alle warten immer noch auf das Musterverfahren zwischen dem Bundesdatenschutzbeauftragten und dem Bundespresseamt. Bei der Evaluierung der kirchlichen Datenschutzgesetze gibt es auch nichts Neues – das KDG ist nach wie vor überfällig, beim DSG-EKD ist öffentlich keine Bewegung sichtbar. Die KDSA Nord ist immer noch keine KdÖR, und in Bayern ist Jupp Joachimski im 81. Lebensjahr Diözesandatenschutzbeauftragter ohne Aussicht auf Ablöse. Der DSG-EKD-Kommentar ist immer noch nicht da, die KDSGO-Kommentierung auch nicht.
Vormals große Themen wie der Umgang mit Corona haben an Bedeutung verloren – im Frühjahr wurde noch über den richtigen Umgang mit Impfnachweisen diskutiert, seither ist die Pandemie zumindest datenschutzrechtlich vorbei. Die Tendenz der vergangenen Jahre zeichnet sich also fort: Der kirchliche Datenschutz läuft im Regelbetrieb. Große Aufregerthemen blieben aus, nach Ausnahmejahren der Pandemie können sich Aufsichten und Verantwortliche wieder auf ihre Regelaufgaben konzentrieren.
»Wir sind christlich, interkonfessionell und ökumenisch« – mit diesen Schlagworten stellt sich kirche.social als »gemeinschaftlich verantwortete Instanz von Menschen rund um die Kirche(n)« vor. Betrieben wird die Instanz des freien und föderierten sozialen Netzwerks Mastodon vom LuKi e.V. »LuKi« steht für »Linux User im Bereich der Kirchen«. Der ehrenamtlich getragene Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, freiheitliche und nachhaltige Digitalisierung in den Kirchen zu fördern – auch mit eigener Infrastruktur.
LibreChurch ist das Modellprojekt für freiheitliche und nachhaltige Digitalisierung des LUKi e.V. – und natürlich auch auf der eigenen Mastodon-Instanz zu finden. Neben kirche.social stellt das Projekt auch den Messenger synod.im und ein Videokonferenzsystem zur Verfügung.
Im Zuge der Aufregung auf Twitter ist kirche.social wie das Fediverse, also die Gesamtheit der föderierten sozialen Dienste, deutlich gewachsen. Im Interview erzählen Johannes Brakensiek und Christian Brecheis vom LuKi e.V. von den Herausforderungen und Besonderheiten, die ein kirchliches soziales Netzwerk mit sich bringt.
Kirchliche Social-Media-Guidelines stehen nicht im besten Ruf. Die kontroverse Debatte um den Augsburger Social-Media-Codex von 2017, der Bistumsmitarbeitenden umfassende Regeln bis ins Privatleben auferlegte, dürfte einigen noch in Erinnerung sein.
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Das Interdiözesane Datenschutzgericht hat zwei neue Entscheidungen veröffentlicht. Wieder einmal geht es um Konflikte aus dem Arbeitsleben, und wieder sind sie in der Sache individuell sicher ärgerlich und belastend, tragen aber nicht übermäßig zur Rechtsentwicklung bei. Aber beide Entscheidungen haben doch auch über den Sachverhalt hinaus interessante Erwägungen: Die eine (IDSG 06/2021 vom 8. März 2022) zur Frage, wie Schadensersatz erstritten werden kann und was die Rolle der kirchlichen Datenschutzinstitutionen dabei ist, die andere (IDSG 19/2021 vom 25. April 2021) zur Frage, ob die kirchlichen Datenschutzgerichte unmittelbar can. 220 CIC prüfen können. Beide Entscheidungen werden hier in der kommenden Woche ausführlicher besprochen.
In der Besprechung des neuen Tätigkeitsberichts des DSBKD wurde schon auf eine Nebenbemerkung mit Sprengkraft verwiesen: »Für den allein kirchlichen Anwendungsbereich könnten die Kirchen eigene Aufsichtsbehörden mit einem je eigenen Regelungskatalog errichten«, heißt es dort. Die Argumentation: Die EU hat für vieles, was Religionsgemeinschaften tun, keine Regelungskompetenz, das kirchliche Datenschutzrecht agiert in diesem Bereich also auf Grundlage des deutschen Staatskirchenrecht mit entsprechend größeren Freiheiten. Folgt man dieser Rechtsauffassung (in diese Richtung argumentiert auch Gernot Sydow), eröffnete das sehr interessante Gestaltungsmöglichkeiten: Die Kirchen könnten sich entweder umfassende Datenschutzregelungen gleich ganz sparen oder wenigstens nur die umfassende Zuständigkeit der Aufsichten und sich darauf konzentrieren, nur wirklich Kirchenspezifisches zu regeln, etwa Kirchenbücher oder das Bischöfliche Geheimarchiv. Müsste man bei Kirchens allerdings auch wollen.
In Israel wird über koschere Handys gestritten – deutlich eingeschränkte Mobiltelefone in eigenen Nummernkreisen, mit denen die Charedim auch telefonisch unter sich bleiben wollen. Der dafür notwendige gesetzliche Rahmen wird von der Regierungskoalition deutlich beschnitten: »Smartphones have become a volatile issue in the Haredi, or ultra-Orthodox, community since April, when Israel’s communications minister made it easier for Haredi to use smartphones without the knowledge of their rabbis, raising tensions within the Haredi community and between them and the rest of Israeli society«, berichtet der Religion News Service in einer lesenswerten Reportage.
Verschiedene Messengerdienste unterschiedlichen Erlaubtheitsgrades auf einem Smartphone-Display. (Photo by Adem AY on Unsplash)
Einen großen Kurswechsel stellt der Beschluss nicht dar, eher eine folgerichtige Fortschreibung. Weiterhin gibt es – anders als beim BfD EKD – keine Bewertung konkreter Dienste. Einen Ausschluss gibt es aber doch: Die KDSA Ost betont explizit, dass Telegram kein zulässiger Messenger-Dienst für dienstliche Kommunikation sei.
Titelseite der aktuellen JIM-Studie (Bildquelle: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs)
Erstmals seit 2015 werden wieder Einstellungen zu Datenschutz dargestellt: »Im Rahmen der JIM-Studie 2021 wurde den Jugendlichen daher die Frage gestellt, wie sicher sie sich auf den unterschiedlichen Plattformen in Bezug auf den Schutz ihrer Daten fühlen«, heißt es. Die Ergebnisse sind überraschend – und zeigen vor allem noch mehr Forschungsbedarf auf.
Social-Media-Management ist der spannendste Job in einer Behörde – dass die beiden Autor*innen von »Social Media in Behörden«(Affiliated Link) davon überzeugt sind, merkt man dem Buch an: Die über 400 Seiten lesen sich leicht und machen Lust, selbst gute dialogische Social-Media-Arbeit zu machen. Die eigentliche Zielgruppe sind Behörden – da haben Christiane Germann, die selbst 15 Jahre lang Beamtin war und in verschiedenen Bundesbehörden für Social-Media-Management zuständig war und heute die Agentur und das gleichnamige Blog Amtzweinull betreibt, und Wolfgang Ainetter, der als Kommunikationschef im Verkehrsministerium das »Neuigkeitenzimmer« aufgebaut hat, viel Erfahrung und einen hervorragenden Überblick über typische Probleme, kommunikative Herausforderungen und best-practice-Lösungen.
Interessant ist das Handbuch aber nicht nur für staatliche Behörden. Die Diagnose, dass viele Behörden recht analoge Leitungen haben, dass hierarchische, bürokratische und traditionelle Organisationen sich oft schwertun mit der Geschwindigkeit ebenenübergreifender Kommunikation, trifft eben nicht nur auf Behörden zu – gerade für kirchliche Kommunikation, die oft in sehr behördenartigen Strukturen stattfindet, finden sich einige wertvolle Impulse. (Und weil dieses Buch auch in die Handbibliothek von Kommunikationsabteilungen von Bistümern und Landeskirchen gehört, wird es trotz wenig Datenschutzbezug hier besprochen.)
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Und noch eine Prüfung – die KDSA Ost kündigt eine Prüfung von Pfarreien im Zuständigkeitsgebiet an und gibt schon mal Hinweise, was man lieber parat haben sollte: »Datenschutzkonzept, Verfahrensverzeichnisse, technisch- organisatorische Maßnahmen, Pflichtinformationen« werden genannt. Nach Angaben der Aufsicht laufen außerdem gerade noch Prüfungen internationaler Datentransfers, von Mailhostern, Tracking-Tools und der Nutzung privater Endgeräte zu dienstlichen Zwecken. Viel zu tun.
Der für mehrere ostdeutsche Landeskirchen und Diakonischen Werke zuständige Datenschutzbeauftragte für Kirche und Diakonie veröffentlicht immer spät, stoßweise und rückdatiert (und in dieser Woche gleich drei) Hinweise: Zur Änderung des DSG-EKD zur Missbrauchsaufarbeitung (man erfährt, dass die Behörde informell bei der Novellierung beteiligt war), zu den neuen Standardvertragsklauseln (die im Einklang mit dem kirchlichen Datenschutzrecht anzuwenden sind, auch wenn sie natürlich nur die DSGVO referenzieren) und eine Erläuterung zum Begriff »Stand der Technik«: Insbesondere wird betont, dass eine »Berücksichtigung der Implementierungskosten im Sinne einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung« nicht das Datenschutzniveau absenken dürfe. Empfohlen wird die Handreichung zum Thema des Arbeitskreises »Stand der Technik« des Bundesverbands IT-Sicherheit.
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Keine Sommerpause in Sicht – erst veröffentlicht das Datenschutzgericht der DBK erstmals Entscheidungen, und während die noch warm sind, kommt der Tätigkeitsbericht der KDSA Nord für 2020. Für den Tätigkeitsbericht war noch keine Zeit – der Überblick folgt am Montag.
Die eigentliche Frage ist aber eher die nach der journalistischen Ethik: Sind solche investigativen Methoden und die anschließende Veröffentlichung dann, wenn es keine Hinweise auf nicht-konsensuelles Verhalten gibt, vertretbar? Erst recht, wenn raunend Verbindungen von Homosexualität zu sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige aufgemacht werden. In einem sehr lesenswerten Kommentar (der auch den Datenschutzkanon anführt) bringt es David Millies auf den Punkt: »The Pillar has less gotten hold of a story than it has published an innuendo. And, the innuendo should worry us.«
Ich seh’s ja ein: RSS ist legacy und für Podcasts. Daher gibt es ab jetzt auch die Möglichkeit, »Artikel 91« als Newsletter zu lesen – einmal in der Woche kommen die aktuellen Nachrichten aus dem kirchlichen Datenschutz in die Inbox. Kostenlos und alle Glieder der Mailkette komplett in der EU gehostet. Zur Anmeldung zum Newsletter geht’s hier.
Ingo Dachwitz erklärt in einem sehr lesenswerten Interview in der Eule, warum gerade wieder Datenschutz bei WhatsApp auf der Tagesordnung steht und Alternativen hoch im Kurs stehen. Ingo plädiert dabei für einen klaren Datenschutzkurs, der sich nicht auf »aber wir müssen doch da hin, wo die Leute sind!« reduzieren lassen will. Dass er dazu auch Erfahrungen aus der Jugendarbeit mitbringt, merkt man: »Ein gewisser Pragmatismus ist in meinen Augen für eine Weile auch ok, aber man darf es sich nicht darin bequem machen. Wenn man den Kontakt hergestellt hat, kann man ja zum Beispiel im Konfirmandenunterricht eine Einheit dazu machen. Also auch aus christlicher Perspektive darauf schauen, warum es wichtig ist, dass Menschen Privatsphäre und das Recht auf Geheimnisse haben. Im Idealfall entscheidet die Konfi-Gruppe dann gemeinsam, wie sie künftig miteinander kommuniziert.« Pragmatismus und normative Kraft des Faktischen ersetzen keine verantwortete Medienpädagogik.