Archiv der Kategorie: Rechtsprechung

Hintergründe zum katholischen Datenschutzgericht aus erster Hand der zweiten Instanz

Die kirchlichen Datenschutzgerichte sprechen wie die meisten Gerichte primär durch ihre Entscheidungen. Erfreulich viele davon sind veröffentlicht, obwohl die KDSGO das nicht ausdrücklich vorsieht, so dass hier auch immer wieder die Rechtsprechung diskutiert werden kann. Über die operative Arbeitsweise und das Selbstverständnis des Gerichts geben Entscheidungen nur wenig Auskunft. Umso wertvoller ist es, wenn sich doch einmal Richter*innen äußern.

Ein Richterhammer liegt auf einer Ausgabe der Kirchlichen Datenschutzgerichtsordnung (KDSGO)
Die KDSGO regelt die kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit.

Nachdem bereits 2021 der Vorsitzende Richter des IDSG Bernhard Fessler in einem Vortrag einiges erzählte, gibt es nun auch vom Vorsitzenden Richter des DSG-DBK, also der zweiten Instanz, Einblicke. In der schon 2023 erschienenen Festschrift zum 80. Geburtstag des Münsteraner Kirchenrechtlers Klaus Lüdicke hat der Münsteraner Europarechtler Gernot Sydow (der auch Herausgeber des KDG-Kommentars ist) über die erste Amtsperiode des DSG-DBK geschrieben, die 2023 endete.

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Haustürwerbung laut Gericht im kirchlichen Interesse

Schlechte Nachrichten für Leute, die lieber keinen Direktvertrieb an der Haustür wollen: Die Weitergaben von Kirchenmitgliederdaten für Haustürwerbeaktionen von Kirchenzeitungen ist rechtens. Das hat das Interdiözesane Datenschutzgericht nun entschieden (Beschluss IDSG 13/2023 vom 22. März 2024).

Eine Reihe von Türklingelklöpfen.
Wer nur bei Katholik*innen klingen will, braucht Meldedaten. (Foto von Serge Le Strat auf Unsplash)

Die Entscheidung ist nicht nur für Kirchenzeitungsverlage eine gute Nachricht: Die Rechtsgrundlage des »kirchlichen Interesses« war bislang einer der weißen Flecken des Datenschutzrechts. Wann und wie genau es herangezogen werden kann, war eher unklar. Nun gibt es erstmals eine Entscheidung, die dafür Kriterien an die Hand gibt.

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IDSG: Missbrauchsaufarbeitung von überwiegendem kirchlichen Interesse

Das Interdiözesane Datenschutzgericht hat erstmals eine Entscheidung zu einer grundlegenden Frage der kirchlichen Missbrauchsaufarbeitung veröffentlicht. Der Beschluss IDSG 16/2021 vom 24. Februar 2024 stellt auf die Klage eines im Kölner Gercke-Gutachten anonymisiert erwähnten Beschuldigten hin fest, dass Missbrauchsaufarbeitung ein erhebliches Interesse der Kirche darstellt, hinter dem Datenschutzrechte der Beschuldigten gegebenenfalls zurücktreten müssen.

Präsentation des Gercke-Gutachtens (Bildquelle: Erzdiözese Köln/Boecker, zugeschnitten und bearbeitet.)
Präsentation des Gercke-Gutachtens (Bildquelle: Erzdiözese Köln/Boecker, zugeschnitten und bearbeitet)

Die Entscheidung ist eine der längsten des IDSG bisher, so dass neben der grundsätzlichen Frage auch noch viele weitere Themenbereiche gestreift werden – von der Frage, ab wann Daten das Sexualleben so betreffen, dass sie zu den besonderen Kategorien gehören, bis zum Verhältnis von datenschutzrechtlichen Betroffenenrechten und kirchlichem Prozessrecht.

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Staatliches Prozessrecht vor kirchlichen Datenschutz-Gerichten

Das katholische Datenschutzrecht ist Kirchenrecht: Das KDG wird jeweils vom Diözesanbischof erlassen, die KDR-OG von den zuständigen Instanzen der Orden, die Gerichtsordnung KDSGO von der Deutschen Bischofskonferenz mit einem besonderen Mandat des Heiligen Stuhls. Da liegt es eigentlich nahe, dass dieses spezielle Kirchenrecht durch Regelungen des universalen Kirchenrechts ergänzt wird wo nötig. In der vergangenen Woche veröffentlichte das IDSG eine Entscheidung, in der es genau das nicht getan hat: Obwohl es eigene Normen des Kirchenrechts zur Fristberechnung gibt, wurden Fristen stattdessen gemäß BGB berechnet.

In der Rechtssammlung zum kirchlichen Datenschutzrecht steckt eine Textausgabe der Verwaltungsgerichtsordnung.
Wer hätte das gedacht: Das kirchliche Datenschutzrecht fußt zwar auf dem Kirchenrecht und ist selbst Kirchenrecht, zum Tragen kommt aber staatliches Prozessrecht.

Warum das Gericht so agiert, wird mit einer nun veröffentlichten Entscheidung des DSG-DBK (Beschluss vom 16. Januar 2024, DSG-DBK 02/2023) deutlich: Beide Instanzen gehen davon aus, dass die sehr kompakte kirchliche Gerichtsordnung subsidiär nicht durch das kirchliche, sondern das staatliche Prozessrecht ergänzt wird.

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Französischer Staatsrat verneint Löschrecht für Taufbucheinträge

Auch in Frankreich müssen Kirchen Einträge aus Taufbüchern nicht löschen. Der französische Conseil d’État hat in seiner Funktion als oberstes Verwaltungsgericht am Freitag einen Einspruch gegen eine Entscheidung der Datenschutzaufsicht CNIL zurückgewiesen. Schon die Aufsicht hatte die Beschwerde eines ehemaligen Katholiken abgelehnt, seinen Taufeintrag zu löschen.

Die Südfassade des Palais Royal in Paris mit der goldenen Aufschrift »Conseil d'État« auf dem Architrav, die Flaggen Frankreichs und der EU flattern im Wind vor bewölktem Himmel.
(Bildquelle: Chabe01, CC BY-SA 4.0, bearbeitet und zugeschnitten.)

Der Staatsrat folgt mit Entscheidung dem europäischen Trend, dass das Interesse der Kirche das Interesse von Betroffenen bei der Führung von Taufbüchern überwiegt. In den vergangenen Jahren hatten europaweit Aufsichten und Gerichte diese Rechtsauffassung vertreten, zuletzt die irische Aufsicht. Die jüngst veröffentlichte gegenteilige Auffassung der belgischen Aufsicht ist weiterhin deutlich in der Minderheit. Die sehr kurz gefasste französische Entscheidung zeigt auf kleinem Raum die Argumentation für eine Ablehnung von Löschrechten im Taufbuch.

Die Entscheidung im Volltext: Conseil d’État, Beschluss vom 4. Februar 2024, Az. 461093 (ECLI:FR:CECHR:2024:461093.20240202).

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IDSG: Wertung und Wahrheit, Ordensdatenschutz, ewige Archive und lebenswichtiges Interesse

Einige Zeit war Ruhe bei den kirchlichen Datenschutzgerichten. Jetzt wurden gleich vier Entscheidungen des IDSG auf einen Schlag veröffentlicht. Weiterhin gibt es klare Tendenzen, was eigentlich vor Gericht kommt: Streitträchtig sind Beschäftigungsverhältnisse, Sorgerechtsfragen und der Gesundheitsbereich – und Kombinationen davon.

Titelseiten von den vier besprochenen IDSG-Entscheidungen

Nachdem nun über 30 Entscheidungen bekannt sind, sind die großen Linien des Gerichts klar, Fragen nach Zuständigkeit, Befugnissen und wem eigentlich Datenschutzverstöße zuzuordnen sind, wird mit großer Konstanz entschieden. Zugleich fehlt es immer noch an Entscheidungen, die die großen Rätsel des kirchlichen Datenschutzes – wann braucht eine Einwilligung keine Schriftform, was ist kirchliches Interesse, wie funktioniert gesetzesübergreifende gemeinsame Verantwortlichkeit – klären. Immerhin: Eine in KDG wie DSGVO wenig genutzte Rechtsgrundlage spielt in dieser Runde eine Rolle.

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Polens Verwaltungsgericht billigt kirchlichen Datenschutz mit großzügiger Auslegung

Die deutschsprachige Literatur und Rechtsprechung sind sich weitgehend einig: Wenn eine Religionsgemeinschaft eigenes Datenschutzrecht anwenden will, dann muss sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der DSGVO, also im Mai 2016, eigene umfassende Datenschutzregelungen gehabt haben. An der Stichtagsregelung gibt es zwar Kritik aufgrund der mangelnden Gleichbehandlung, insbesondere erst später gegründeter Religionsgemeinschaften – solange der EuGH aber nicht den Stichtag kippt, dürfte der Wortlaut gelten.

Schild am Obersten Verwaltungsgericht mit dem polnischen Wappen und der Aufschrift »Naczelny Sąd Administracyjny«
Das Oberste Verwaltungsgericht in Polen (Bildquelle: Naczelny Sąd Administracyjny, Pressebild)

In der aktuellen Ausgabe der polnischen kirchenrechtlichen Zeitschrift Kościół i Prawo befasst sich Justyna Ciechanowska mit dem Datenschutzrecht und der Datenschutzaufsicht der katholischen Kirche in Polen. Sie kommt zu dem Schluss, dass das Datenschutzrecht tatsächlich gilt und die Aufsicht die notwendigen Bedingungen der Unabhängigkeit erfüllt; lediglich die Möglichkeit von Diözesanbischöfen, zusätzlich zur Aufsicht in Visitationen die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen zu prüfen, wird problematisiert. Für ihre Position kann sie sich auf zwei höchstrichterliche Urteile stützen.

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Vor Gericht und bei der Evaluierung – Jahresausblick 2024

So voll der Jahresrückblick auch immer ist – wie viele Themen dann doch wieder im Ausblick erscheinen, zeigt, wie lange vieles doch geht. Immerhin: Mit dem KDSZ Bayern und dem DSG-EKD-Kommentar konnten viele Dinge von der Liste gestrichen werden. Vor allem die gerichtliche Klärung von Fragestellungen dauert aber – und das nicht nur in den Fällen, die eine Runde über den EuGH drehen.

Jahresaublick Kirchlicher Datenschutz 2024
(Bildquelle: Kajetan Sumila auf Unsplash, Montage fxn)
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Fake-Facebook-Verbot und kontroverse Aufarbeitung – Jahresrückblick 2023

An einige Prognosen des Jahresausblicks für 2023 kann man Haken setzen: In Sachen Facebook-Fanpages ging es ein bisschen weiter, der EU-US-Datentransfer ist wieder einfach möglich, das KDSZ Bayern errichtet und der DSG-EKD-Kommentar ist endlich erschienen. Anderes bleibt offen: In die DSG-EKD-Evaluierung kam etwas Bewegung, aber akut wird sie erst 2024, von der KDG-Evaluierung gab es gar nichts Neues.

Jahresrückblick kirchlicher Datenschutz
(Bildquelle: Kajetan Sumila auf Unsplash, Montage fxn)

Geprägt war das Jahr 2023 im kirchlichen Datenschutz neben dem Umgang mit Facebook-Fanpages besonders stark von Fragen der Missbrauchsaufarbeitung: Betroffenenrechte von Betroffenen und Beschuldigten wurden kontrovers diskutiert, es gab Täternamen-Veröffentlichungen, neue Gesetze, Entscheidungen von staatlichen Gerichten und kirchlichen Datenschutzaufsichten.

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Kirchliches Verwaltungsgericht findet doch Recht auf Kopie im DSG-EKD

Im DSG-EKD gibt es anders als in der DSGVO kein Recht auf Kopie. Das sorgt für Konflikte. Im vergangenen Jahr hatte der EKD-Kirchengerichtshof das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und in einem Streit um die Herausgabe von Akten gleich das ganze DSG-EKD für unanwendbar erklärt, nachdem die erste Instanz hilfsweise die DSGVO-Regelung heranziehen wollte.

Zeichnung des Roneo Copiers von 1905
Aus der Patentschrift für den Roneo Copier (USA, 1906, gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Nun wurde ein weiteres Urteil veröffentlicht, dieses Mal vom Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Das Urteil vom 21. April 2023 (Az. VG 01/22) kommt zu dem Schluss, dass ein Recht auf Kopie auch gemäß DSG-EKD entsteht, ohne das mit überschießenden Mitteln zu begründen – dem Kläger hat diese Erkenntnis trotzdem nichts genutzt.

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