Kinder und Jugendliche haben Rechte. Das ist leider nicht immer so klar, wie es wünschenswert wäre. Insbesondere haben Kinder auch Rechte gegenüber ihren Eltern, die trotz grundgesetzlich verbürgtem Elternrecht auf Erziehung nicht alles dürfen.
Das Interdiözesane Datenschutzgericht hatte nun einen Fall zu entscheiden, in dem es genau darum ging: Ein Vater wollte Auskunftsrechte über Daten seiner Tochter geltend machen, und zwar gegen den Willen der 15-jährigen. Das Ergebnis ist rundheraus zu begrüßen: Das Gericht macht die Rechte der Jugendlichen stark. (IDSG 23/2020 vom 25. Februar 2022)
Sachverhalt
In der Entscheidung ging es darum, ob Eltern gegen den Willen ihrer Kinder Auskunftsrechte über die Kinder betreffende Daten geltend machen können. Der Vater einer knapp unter 16-jährigen Jugendlichen, die auf Anraten des Jugendamts in Heimunterbringung war, wollte Kopien aller Daten zur Tochter. Zu den vorhandenen Daten gehörten aber auch Evaluierungsbögen, die die Jugendliche in der Erwartung von Vertraulichkeit ausgefüllt hatte. Der Träger des Heims gab zwar Auskunft über gespeicherte Kategorien, Rechtsgrundlagen und Löschfristen sowie eine Datenschutzinformation, aber nicht die inhaltlichen Dokumente inklusive der Evaluierungsbögen, da damit nach Ansicht des Trägers die Datenschutzrechte der Jugendlichen verletzt würden.
Auch die angerufene Datenschutzaufsicht teilte diese Einschätzung: »Zur Begründung führte sie aus, das in Art. 6 Grundgesetz (GG) garantierte Elternrecht müsse hinter dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Tochter zurücktreten.« (Rn. 3)
Die Entscheidung
Im Ergebnis hatte der klagende Vater keinen Erfolg. Der Heimträger hat zurecht die Auskunft verweigert. Das Auskunftsrecht ist zunächst ein höchstpersönliches Recht, das der jeweiligen betroffene Person zukommt, und von Eltern nicht völlig frei im Rahmen ihres Elternrecht stellvertretend ausgeübt werden kann. Auch dass die Daten Informationen zu den Eltern enthalten, führt zu keinem anderen Ergebnis – eine Auskunft darf verweigert werden, um Rechte und Freiheiten Dritter nicht zu verletzen (Rn. 20).
Für das Gericht ist sehr klar, dass in der Abwägung des Elternrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Jugendlichen das Interesse der Tochter überwiegt: »Die Tochter hat der Auskunftserteilung widersprochen. Dieser Widerspruch ist rechtlich beachtlich.« Auch das Sozialrecht sieht vor, dass Jugendliche entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen sind: »In Bezug auf die eigenständige Ausübung von Grundrechten Minderjähriger ist auf deren Einsichtsfähigkeit abzustellen.« (Rn. 24)
Das gelte auch im Datenschutzrecht (Rn. 28), und so folgt ein sehr deutlicher Schluss: »Die Erteilung der begehrten umfassende Auskunft würde das Recht der Tochter auf informationelle Selbstbestimmung als Recht im Sinn von § 17 Abs. 4 KDG in erheblichem Maße beeinträchtigen. Betroffen sind insbesondere sensible Daten aus der persönlichen und der Intimsphäre, bei deren Angabe die Tochter davon ausgehen durfte, dass sie nicht weitergegeben werden. Eine derartige berechtigte Erwartung ist regelmäßig schutzwürdig.« (Rn. 31) Dagegen stehe eine sehr begrenzte Beeinträchtigung der Rechte der Eltern, erst recht, wenn beachtet wird, dass das Elternrecht »ein pflichtgebundenes Recht darstellt, das zum Wohl des Kindes auszuüben ist. Gerade bei der Ausübung höchstpersönlicher Rechte tritt das Elternrecht zurück, wenn die erforderliche Einsichtsfähigkeit des Kindes gegeben ist.« (Rn. 34)
Fazit
Der Beschluss ist sehr erfreulich, ebenso wie das Handeln von Heimträger und Datenschutzaufsicht: Gerade kirchliche und kirchennahe Stimmen neigen oft dazu, Kinderrechte im Vergleich zu Elternrechten zu vernachlässigen. Im vorliegenden Fall ist davon nicht eine Spur zu finden. Auch gegen Widrigkeiten und Druck hat der Heimträger die Jugendliche und ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt und dabei Rückendeckung von der Datenschutzaufsicht bekommen. Das jeweilige Handeln wurde in der gerichtlichen Prüfung umfassend bestätigt.
Über den konkreten Fall hinaus ist die Entscheidung bedeutend, weil es der erste Fall vor einem kirchlichen Datenschutzgericht ist, der die Rechte von Minderjährigen in Betracht zu ziehen hat. Es scheint für das Gericht völlig klar zu sein, dass im Datenschutzrecht auf die Einsichtsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen, nicht auf harte Altersgrenzen abzustellen ist; explizit wird erwähnt, dass diese Position in Kenntnis der einzigen absoluten Altersgrenze im KDG, der von 16 Jahren bei der Einwilligung in elektronische Dienstleistungen (§ 8 Abs. 8 KDG) vertreten wird.
Diese starke Betonung der Einsichtsfähigkeit und der informationellen Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen macht Hoffnung, dass das Gericht in eventuellen Fällen, die sich auf Betroffenenrechte von Schüler*innen an kirchlichen Schulen beziehen, auch eine so konsequente Haltung einnehmen wird: Leider wurden in den seit Erlass des KDG novellierten Schuldatenschutzordnungen in Hamburg und Osnabrück das Ausüben von Betroffenenrechte durch Schüler*innen selbst massiv beschnitten und so das Schutzniveau des KDG unterschritten.