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Evangelisch inspirierte katholische Aufarbeitungsnormen in Hildesheim und Osnabrück

Zwei katholische Bistümer haben mittlerweile Ordnungen zur Regelung von Auskunfts- und Einsichtsrechten in Sach- und Personalakten zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Kraft gesetzt, die sich stark an die Aufarbeitungsnorm § 50a DSG-EKD anlehnen: Hildesheim und Osnabrück.

Eine lange Reihe an Archivschränken im Sächsischen Hauptstaatsarchiv.
(Foto von C M auf Unsplash)

Die beiden Bistümer gehen damit einen eigenständigen Weg im Vergleich zu den bislang von anderen Diözesen in Kraft gesetzten Aufarbeitungsnormen, ohne ganz unabhängig von ihnen zu sein, wie sich bei einem genaueren Blick in die Normen zeigt.

Regelungsgehalt

Mit fünf kurz gehaltenen Paragraphen (davon einem mit den Regelungen zum Inkrafttreten) sind die beiden Normen schon vom Umfang her eher mit dem evangelischen Pendant zu vergleichen als mit den ausführlicheren Einsichtsnormen anderer Bistümer (die teilweise deutlich mehr Paragraphen aufweisen, die in jedem Fall aber insgesamt deutlich länger sind).

  • § 1 statuiert ein »besonderes kirchliches und öffentliches Interesse« an der Aufarbeitung und schafft daher eine Rechtsgrundlage, die für alle kirchlichen Rechtsträger des jeweiligen Bistums gilt.
  • § 2 ermöglicht die Offenlegung gegenüber der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (Osnabrück) und (nur in Hildesheim) zusätzlich gegenüber »Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder Rechtsanwaltskanzleien« unter definierten Bedingungen:
    1. Erforderlichkeit für die Aufarbeitung
    2. eine Nutzung anonymisierter Daten ist nicht möglich oder unverhältnismäßig aufwendig
    3. überwiegendes kirchliches Interesse an der Aufarbeitung
  • § 3 sieht eine Verpflichtung der empfangenden Stelle auf das Datengeheimnis gemäß § 5 KDG oder »§ 53 DSGVO [sic!]« vor (gemeint ist: § 53 BDSG, aber auch das ergibt keinen Sinn, weil § 53 BDSG zum Teil 3 des Gesetzes gilt, der die JI-Richtlinie zum Datenschutz im Bereich innere Sicherheit, Polizei und Justiz umsetzt und daher nur für öffentliche Stellen gilt, nicht für die in den Normen in § 2 geregelten möglichen Empfänger, die somit nie auf § 53 BDSG verpflichtet werden).
  • § 4 regelt die Veröffentlichung personenbezogener Daten, die zulässig ist, wenn sie unerlässlich für die Aufarbeitung ist und die Persönlichkeitsrechte der genannten Personen gewahrt werden.
  • § 5 regelt das Inkrafttreten mit Veröffentlichung im jeweiligen Amtsblatt.

Unterschiede zu § 50a DSG-EKD

Die evangelische Norm stellt ein »überragendes kirchliches Interesse« an der Aufarbeitung fest, in der katholischen ist das Interesse ein »besonderes kirchliches und öffentliches«.

Anders als im DSG-EKD ist der mögliche Empfängerkreis durch genauere Definition eingeschränkter auf Kommission und ggf. Wissenschaft und Rechtsanwaltskanzleien. Im DSG-EKD wird allgemeiner von »von der zuständigen kirchlichen Stelle Beauftragten« gesprochen. (In der Praxis dürfte das bei Nennung aller drei Empfängerkreise wie in Hildesheim aber keinen Unterschied machen.)

Das DSG-EKD nennt drei Bedingungen für eine Offenlegung:

  1. Vorlage eines Datenschutzkonzeptes
  2. Verpflichtung auf das Datengeheimnis und auf Zweckbindung
  3. Maßgaben zur Anonymisierung falls möglich, ansonsten zur pseudonymen Speicherung (Trennung von Einzelangaben und Schlüssel, eine Zuordnung von Personen ermöglicht)

Die katholischen Normen nennen also zusätzlich die Erforderlichkeit (die im DSG-EKD ohnehin aufgrund der allgemeinen Prinzipien zum Umgang mit personenbezogenen Daten gegeben sein muss) und ein »überwiegendes kirchliches Interesse«. Hier ist unklar, ob das etwas anderes ist als das in § 1 schon statuierte »besondere kirchliche Interesse«: Kann es sein, dass zwar das besondere Interesse gemäß § 1 besteht, es aber nicht »überwiegend« gemäß § 2 ist? § 50a DSG-EKD ist hier schlüssiger formuliert, indem hier klar ist, dass die Interessensabwägung in jedem Fall »überragend« ist, also zugunsten der Aufarbeitung ausfällt. Die katholischen Normen sind dagegen grundrechtsschonender formuliert, weil anscheinend noch eine tatsächliche Abwägung nötig ist. Dann stellt sich aber die Frage, was § 1 darüber hinaus noch leistet. Die Vorlage eines Datenschutzkonzeptes wird nicht ausdrücklich gefordert.

§ 50a Abs. 3 DSG-EKD schließt § 17 Abs. 3 DSG-EKD von der Anwendung aus: betroffene Personen müssen also nicht informiert werden, wenn ihre Daten gemäß der Norm zu einem anderen als dem ursprünglichen Zweck verarbeitet werden. Eine derartige Regelung gibt es in den katholischen Normen nicht, damit sind betroffene Personen gemäß § 15 Abs. 3 KDG (der materiell identisch mit § 17 Abs. 3 DSG-EKD ist) zu informieren.

Die Veröffentlichung personenbezogener Daten ist im DSG-EKD deutlich ausführlicher geregelt. Sie erfordert dort die Zustimmung der offenlegenden Stelle, die zu erteilen ist, wenn sie »unerlässlich« für die Aufarbeitung ist, weil es sich um eine Person der Zeitgeschichte handelt, oder wenn die betroffene Person eingewilligt hat. Auch im ersten Fall ist die betroffene Person anzuhören. Daten von Betroffenen sexualisierter Gewalt dürfen nur auf Grundlage einer Einwilligung veröffentlicht werden. Dagegen ist in der katholischen Norm nur die Unerlässlichkeit und eine Wahrung der Persönlichkeitsrechte erforderlich, eine Zustimmung der offenlegenden Stelle braucht es nicht. Niedrigere Standards für Personen der Zeitgeschichte und Einwilligungen sind nicht ausdrücklich normiert, dürften aber in der Wahrung der Persönlichkeitsrechte impliziert sein.

Unterschiede zu katholischen Einsichtsnormen

Die Ordnungen in Hildesheim und Osnabrück sind nicht nur an § 50a DSG-EKD angelehnt, sondern auch an die bereits anderswo bestehenden katholischen Regelungen. Das zeigt sich insbesondere an den Bedingungen für die Offenlegung. Die drei Kriterien – Erforderlichkeit, möglichst anonym, überwiegendes Aufarbeitungsinteresse – sind so auch in den anderen katholischen Einsichtsnormen zu finden. (Teilweise wird dort noch eine vierte Bedingung, die Zustimmung des Diözesanbischofs oder einer von ihm benannten Vertretung, verlangt.)

Trotz der sehr unterschiedlichen Umfänge der Normen sind materiell nicht allzu große Unterschiede festzustellen: Die ausführlicheren Auskunfts- und Einsichtsnormen regeln vor allem technische und organisatorische Maßnahmen und machen so explizit, was ohnehin gemäß Datenschutzrecht zu tun wäre. Sinnvoll ist die ausführliche Regelung zur Schaffung vergleichbarer Standards und zur Rechtsklarheit. Hildesheim und Osnabrück verzichten dagegen sogar auf die im DSG-EKD vorgeschriebene Vorlage eines Datenschutzkonzepts.

Bei der Veröffentlichung werden Personen der Zeitgeschichte in den anderen Normen ausdrücklich genannt.

Fazit

Eine Rechtsgrundlage für die Offenlegung von Sach- und Personalakten zur Missbrauchsaufarbeitung ist dringend nötig, um Rechtssicherheit für die Aufarbeitung zu schaffen. Das IDSG hat zwar bereits in erster Instanz ein generelles »überwiegendes« kirchliches Interesse festgestellt, mit klaren Normen dürfte für die Gestaltung von Aufarbeitungsprozessen aber eine höhere Rechtssicherheit einhergehen.

Über die Fragen der Aufarbeitung hinaus ist bemerkenswert, dass sich hier katholische Gesetzgeber von evangelischem Recht inspirieren lassen. Das sollte angesichts ähnlicher Herausforderungen viel häufiger geschehen.

Ob das in diesem Fall zu einem besseren Ergebnis geführt hat, kann man kontrovers diskutieren. Für das von anderen Bistümern verwendete Muster spricht die detailliertere Regelung, die den mit der Aufarbeitung beauftragten Institutionen klare Vorgaben machen. Für die kompaktere Regelung spricht, dass die Norm so deutlich übersichtlicher ist. Weniger gelungen scheint, dass aus beiden Inspirationsquellen jeweils eine Festlegung zum Aufarbeitungsinteresse übernommen wurde – das Zusammenspiel von § 1 und § 2 Nr. 3 ist unklar.

Eine Kuriosität am Rande ist, dass bei der Entstehung der Norm wohl noch das BDSG a. F. im Hinterkopf war, das tatsächlich in § 5 eine Verpflichtung aufs Datengeheimnis für alle vorgesehen hatte, während das geltende BDSG das nur noch im Geltungsbereich der JI-Richtlinie tut und derartiges in der DSGVO nur implizit steht.

Ökumenisch lernen – Wochenrückblick KW 33/2024

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(Bildquelle: ali syaaban on Unsplash)
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Kontroverse Offenlegungen – Wochenrückblick KW 28/2023

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Aufarbeitungsdaten – Wochenrückblick KW 27/2023

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Keine Aufarbeitung ohne Einwilligung – Wochenrückblick KW 26/2023

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Neue Einsichtsnormen zur Missbrauchsaufarbeitung: Jetzt auch für Sachakten

Im Lauf des vergangenen Jahres hat die Mehrheit der katholischen Bistümer Einsichtsnormen für Personalakten zur Missbrauchsaufarbeitung erlassen. (Die EKD-Synode hat dagegen eine allgemeine Aufarbeitungsnorm in ihr Datenschutzgesetz geschrieben.) Die Gesetzgebung erweitert die in allen Diözesen einheitliche Personalaktenordnung um bistumsspezifische Einsichtsnormen, die Aufarbeitungskommissionen, Forschungsprojekten und Anwaltskanzleien Akteneinsicht und Auskunft ermöglichen – je nach Bistum an eine bis drei dieser Gruppen.

Karteikärtchen in einer Schublade
(Photo by Maksym Kaharlytskyi on Unsplash)

Die Einsichtsnormen haben sich dabei auch tatsächlich auf die Personalaktenordnung beschränkt. Erfasst waren also nur Personalakten von Beschäftigten im Einzugsbereich der PAO, also Klerikern, Kirchenbeamten und in der Regel auch angehende Kleriker. Eine eindeutige Rechtsgrundlage für die Verwendung von Sachakten für die Aufarbeitung gab es bislang mit zwei Ausnahmen nicht. Im Lauf des Jahres haben nun einige Bistümer die Sachakteneinsicht geregelt – teils in einer Spezialnorm nur dafür, in einem Fall mit einem einheitlichen Gesetz für Personal- und Sachakten.

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