Seit gut einem Vierteljahr gelten die ersten Normen zur Akteneinsicht und -auskunft zur Missbrauchsaufarbeitung im katholischen Bereich – begonnen hatten Osnabrück und Trier. Anders als die EKD, die in ihr für alle Landeskirchen geltendes Datenschutzgesetz eine einheitliche Norm aufgenommen hat, steht es im Benehmen der einzelnen Diözesanbischöfe, die auf Ebene der Deutschen Bischofskonferenz erlassene Musternorm in Kraft zu setzen – oder auch nicht.
Die Musternorm gehört in den Regelungsbereich der Personalaktenordnung, die in allen deutschen Bistümern zum 1. Januar in Kraft gesetzt werden sollte. Nach drei Monaten gibt es nun die erste Bilanz über die Gesetzgebungstätigkeit hinsichtlich der Akteneinsicht.
Geplante Umsetzung
Die Musternorm wurde von der Deutschen Bischofskonferenz nicht veröffentlicht. Wie sie aussieht, wird aus dem – leider nicht online verfügbaren – Amtsblatt des Bistums Mainz deutlich. Dort wurde eine Norm veröffentlicht, die die Übernahme der Musternorm festlegt, und die Einsichtsnorm selbst. Daraus lässt sich ableiten, dass das Muster drei Paragraphen mit eigenen Regelungen für Auskünfte und Akteneinsicht in Personalakten zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener vorsieht, und zwar an die Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch, zu Forschungszwecken und für Rechtsanwaltskanzleien.
18 Bistümer hatten auf Anfrage angekündigt, die Musternormen in Kraft zu setzen, vier – Eichstätt, München und Freising, Münster und Paderborn – gaben an, das prüfen zu wollen, oft in Absprache mit den jeweiligen Aufarbeitungskommissionen oder Betroffenenbeiräten. Keine Pläne, die Musternorm einzuführen, teilten das Erzbistum Bamberg und die Bistümer Fulda, Görlitz und Regensburg mit, wobei Fulda trotz fehlender Antwort eine in Kraft gesetzt hat. Für die Militärseelsorge ist die Materie nicht relevant, da dort keine Kleriker inkardiniert sind. Die Militärseelsorger sind für die Zeit ihrer Tätigkeit in der Militärseelsorge Bundesbeamte auf Zeit, unterfallen also weltlichem Personalaktenrecht. Der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, hatte mir für meine Recherche zur Personalaktenordnung gesagt, dass Regelungen zur Weitergabe in der PAO selbst ursprünglich geplant waren, aber nicht mehrheitsfähig gewesen seien. Die DBK bestätigte das nicht.
Bisheriger Stand der Umsetzung
Letzte Änderungen: Bistum Aachen, Erzbistum Paderborn, 1. Juni 2023, Bistum Görlitz, 10. März 2022, Bistum Fulda und Erzbistum Berlin, 6. April 2022, Bistum Passau, 7. Juni 2022, Bistum Essen, 26. Januar 2023, Bistum Würzburg, 22. März 2023.
Aktuell haben 20 Bistümer ihre Einsichtsnormen schon veröffentlicht. Die größten Unterschiede bestehen in den Titeln der Normen und in den Adressat*innen-Kreisen, die Einsicht nehmen dürfen. Sieben Bistümer setzen die Einsichtsnormen so in Kraft, dass alle drei Einsichtsberechtigte – Kommission, Forschung und beauftragte Rechtsanwaltskanzleien – genannt werden: Aachen, Essen, Magdeburg (in zwei getrennten Normen), Mainz, Paderborn, Trier und Würzburg. Kommission und Forschung tauchen in Hamburg, Hildesheim, Limburg, Osnabrück und Passau auf. In Berlin, Dresden-Meißen, Freiburg, Fulda, Görlitz, Rottenburg-Stuttgart und Speyer haben nur die Missbrauchskommissionen Auskunfts- und Einsichtsrechte. Wie die Musternorm umgesetzt wurde, hängt dabei vor allem vom jeweiligen legislativen Stil ab, in den materiellen Regelungen wird ihr weitgehend gefolgt.
Noch nicht bekannt ist, ob über den Personenkreis der Kirchenbeamt*innen und Kleriker hinaus geplant ist, entsprechende Normen auch für kirchliche Angestellte zu erlassen – das dürfte schwierig sein, sowohl aus dienstrechtlichen Gründen wie aus der ganz praktischen Erwägung, dass ein so stringentes Personalaktenregime in der Fläche bei der Vielfalt oft sehr kleiner Träger kaum durchzusetzen sein dürfte. Allein das sehr eigenständige Gesetz in Fulda erfasst alle Beschäftigte aller Beschäftigungsformen bei allen Trägern. Dazu kommt, dass hier die Initiative wohl nicht bei den Bischöfen, sondern bei den Kommissionen zur Ordnung des diözesanen Arbeitsrecht liegt. (In Fulda ist keine KODA-Beteiligung ersichtlich.) Aber schon für die enger zu führenden Kirchenbeamt*innen und Kleriker meldete der Paderborner Kirchenrechtler Rüdiger Althaus Bedenken an, bereits in der aktuellen Form gehe die Norm »über das weltliche Recht hinaus und kann in Bezug auf den Persönlichkeitsschutz hinterfragt werden«.
Liste der bisher veröffentlichten Einsichtsnormen
(Berücksichtigt sind die online veröffentlichten Amtsblätter und Mainz, Stand 1. Juni 2023. Hinweise zu weiteren Veröffentlichungen in nichtöffentlichen Amtsblättern sind gern gesehen.)
- Aachen: Ordnung zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für Personalakten von Klerikern, Kandidaten und Kirchenbeamten zu Zwecken der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch (Amtsblatt Nr. 6/2023, in Kraft ab 1. Mai 2023)
- Berlin: NORMEN zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Unabhängige Kommission und alle Aufarbeitungsprojekte der Erzdiözese Berlin (Amtsblatt Nr. 4/2022, in Kraft ab 1. Januar 2022)
- Dresden-Meißen: Normen zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Unabhängige Kommission und alle Aufarbeitungsprojekte der Diözese Dresden-Meißen (Amtsblatt Nr. 11/2021, in Kraft ab 1. Januar 2022)
- Essen: Ordnung zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten zu Zwecken der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch (Amtsblatt Nr. 1/2023, in Kraft ab 1. Januar 2023)
- Freiburg: Ausführungsbestimmungen von Einsichts- und Auskunftsrechten und zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten für die Unabhängige Kommission und alle Aufarbeitungsprojekte der Erzdiözese Freiburg (Ausführungsbestimmungen Akteneinsicht). (Amtsblatt Nr. 34/2021, in Kraft ab 1. Januar 2022)
- Fulda: Gesetz zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten der Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener (Amtsblatt Nr. 2/2022, in Kraft ab 1. März 2022)
- Görlitz: Normen zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten des Bistums Görlitz (Amtsblatt Nr. 2/2022, in Kraft ab 1. März 2022)
- Hamburg: Gesetz zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Kommissionen zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener sowie beauftragte Forschungsinstitute in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern (Amtsblatt Nr. 12/2021, in Kraft ab 1. Januar 2022)
- Hildesheim: Normen zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Unabhängige Kommission und alle Aufarbeitungsprojekte der Diözese Hildesheim (Amtsblatt Nr. 1/2022, in Kraft ab 1. Januar 2022)
- Limburg: Normen zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Unabhängige Kommission und alle Aufarbeitungsprojekte der Diözese Limburg (Amtsblatt Nr. 13/2022, in Kraft ab 1. Januar 2022)
- Magdeburg:
- Ordnung zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten Dritter in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten im Bistum Magdeburg (Amtsblatt Nr. 1/2022, in Kraft ab 1. Januar 2022)
- Ordnung zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Kommissionen zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten für das Bistum Magdeburg (Amtsblatt Nr. 1/2022, in Kraft ab 1. Januar 2022)
- Trier: Ordnung zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten Dritter in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern (Amtsblatt Nr. 13/2021, in Kraft ab 1. Januar 2022)
- Osnabrück: Gesetz zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Kommissionen zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener sowie beauftragte Forschungsinstitute in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern (Amtsblatt Nr. 21/2021, in Kraft ab 24. November 2022)
- Paderborn: Diözesangesetz zur Regelung von Einsichtsund Auskunftsrechten für die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener, für Forschungszwecke und für Rechtsanwaltskanzleien in Bezug auf Personalakten von Klerikern, Personalakten von Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamten sowie Sachakten, Verfahrensakten, Registraturakten und vergleichbare Aktenbestände der laufenden Schriftgutverwaltung im Erzbistum Paderborn (AktAuskG) (Amtsblatt Nr. 4/2023, in Kraft ab 1. April 2023)
- Passau: Normen zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten Dritter zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten der Diözese Passau (Amtsblatt Nr. 4/2022, in Kraft ab 1. Juni 2022)
- Speyer: Gesetz über datenschutzrechtliche Bestimmungen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Komplexes „Sexueller Missbrauch“ im Bistum Speyer (Amtsblatt Nr. 1/2022, in Kraft ab 1. Februar 2022)
- Mainz: Ordnung zur Regelung für Auskünfte und Akteneinsicht zu Zwecken der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener (nicht online, Amtsblatt Nr. 15/2021, in Kraft ab 1. Januar 2022)
- Würzburg: Normen zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Unabhängige Kommission und für alle wissenschaftlichen oder rechtsanwaltlichen Aufarbeitungsprojekte in der Diözese Würzburg (Amtsblatt, in Kraft ab 1. März 2022)
- Rottenburg-Stuttgart: NORMEN zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern und Kirchenbeamten der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Amtsblatt Nr. 2/2022, in Kraft ab 1. Januar 2022)