DSG-EKD geändert: Rechtsgrundlage für Missbrauchsaufarbeitung

Erstmals seit Inkfrattreten wurde das Datenschutzgesetz der Evangelischen Kirche Deutschlands geändert. Wie die EKD in ihrem aktuellen Amtsblatt mitteilt, hat der Rat eine gesetzesvertretende Verordnung zur Änderung des DSG-EKD erlassen »zum Zwecke der institutionellen Aufarbeitung sexualisierter Gewalt«. Die größte Änderung betrifft einen neuen Paragraphen 50a, der eine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten für die institutionelle Aufarbeitung sexualisierter Gewalt schafft.

Eine Hand vor einem Gesicht
(Bildquelle: Photo by Philipp Wüthrich on Unsplash)

Die Aufarbeitung wird mit einer neuen Definition in § 4 gefasst: »institutionelle Aufarbeitung sexualisierter Gewalt« ist der als Nr. 22 eingefügten Begriffsbestimmung zufolge »jede systematische, nicht auf den Einzelfall bezogene Untersuchung von Vorkommnissen sexualisierter Gewalt, insbesondere betreffend deren Ursachen, Rahmenbedingungen und Folgen«.

Zulässig ist künftig eine Zweckänderung bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten, wenn sie der institutionellen Aufarbeitung dient (§ 7 Abs. 1 Nr. 11 neu), auch bei der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten wurde ein neuer Tatbestand eingefügt, der die Verarbeitung erlaubt, wenn sie für die Aufarbeitung erforderlich ist und die Interessen der betroffenen Person durch angemessene Maßnahmen gewahrt sind (§ 13 Abs. 2 Nr. 11).

Das Herzstück der Änderung ist ein neu eingefügter § 50a, der ein »überragendes kirchliches Interesse« an der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt feststellt und eine neue Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten für diesen Zweck einführt. (Abs. 1) Dafür dürfen »Unterlagen, die Informationen über Vorgänge sexualisierter Gewalt enthalten oder von denen dieses aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist«, ohne Einwilligung von Betroffenen an mit der Aufarbeitung beauftragte Wissenschaftler*innen oder andere Beauftragte unter Bedingungen offengelegt werden. Die Empfänger*innen der Daten müssen dafür ein Datenschutzkonzept vorlegen, dass das DSG-EKD-Niveau nicht unterschreitet und auf das Datengeheimnis und die ausschließliche Nutzung zur Aufarbeitung verpflichtet werden. (Abs. 2) Das Gebot zur Anonymisierung, falls möglich, das auch für die Verarbeitung zu wissenschaftlichen und statistischen Zwecken gilt, wird übernommen. (Abs. 3) Eine Veröffentlichung der Daten ist nur mit Zustimmung der offenlegenden Stelle zulässig, die zu erteilen ist, wenn sie bei Personen der Zeitgeschichte unerlässlich ist (dabei ist die betroffene Person anzuhören) oder die betroffene Person eingewilligt hat. Bei Betroffenen sexualisierter Gewalt ist nur der Weg über die Einwilligung möglich (Abs. 4).

Die Verordnung ist auf den 24. Juni datiert und trat am 1. Juli in Kraft, geändert wurden außerdem Details im Disziplinar- und Beamtenrecht. Die Änderung ist die erste substantielle Änderung des DSG-EKD seit seinem Inkrafttreten 2018. Ob auch die katholische Kirche eine entsprechende Änderung des KDG plant, ist nicht bekannt.

Ein Gedanke zu „DSG-EKD geändert: Rechtsgrundlage für Missbrauchsaufarbeitung

  1. K. Claus

    Wer sich mit den Prozessen der Aufdeckung und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im Bereich der evangelischen Kirche befasst, wird schnell feststellen, dass hier regelhaft von ‚Einzelfällen‘ ausgegangen wird. Selbst dann, wenn Betroffene Hinweise auf weitere Taten vorlegen, erfolgen zumeist keine umfassenden Nachforschungen. Das Interesse der Aufdeckung der Taten seitens Betroffener kollidiert hier mit den – vermeintlichen – Schutzrechten kirchlicher Mitarbeiter. Denn tatsächliche Nachforschungen sind ohne (halb)-öffentliche Nennung von Namen, Zeiträumen nicht zu leisten. Alle halbgaren kircheninternen Nachforschungen dienen Kirchenverantwortlichen letztlich eher als Feigenblatt anstatt tatsächliche Tatkomplexe aufdecken zu können.
    Gelingt es Betroffenen im Einzelfall, kirchliche Nachforschungen zu erreichen, (https://eulemagazin.de/missbrauch-evangelisch-die-geheimnistuerei-verhindert-aufklaerung/) zeigt sich schnell, dass solche ‚Einzelfälle‘ oft nur solange Einzelfälle sind, solange nicht nachgeforscht wird. Mittlerweile wird hier von über zehn Betroffenen ausgegangen. Dass in diesem Fall die Landeskirche Hannover überhaupt – auch öffentlich – um Hinweise gebeten hat, mag auch daran liegen, dass der Täter bereits verstorben war.
    Vor diesem Hintergrund kommt bei der hier besprochenen Neuerung doch Skepsis auf, heisst es doch im Gesetz jetzt dezidiert, dass Zugang zu Akten für wissenschaftliche Forschung und Aufarbeitung gewährt wird für „»jede systematische, nicht auf den Einzelfall bezogene Untersuchung von Vorkommnissen sexualisierter Gewalt, insbesondere betreffend deren Ursachen, Rahmenbedingungen und Folgen«.
    ‚Nicht auf den Einzelfall bezogene Untersuchung‘ – das heisst im Umkehrschluss, dass gerade für Taten, die sich im gemeindlichen Kontext ereignet haben, entsprechende Akten kaum ausgewertet werden können, da mangels solcher auch öffentlicher kirchlicher Nachforschunge, die das Gegenteil belegen könnten, weiter für die meisten angezeigten Fälle von Einzelfällen ausgegangen werden wird.
    Das Signal mag sich also positiv lesen, ob es in der Praxis tatsächlich zum verbesserten Zugang zu relevanten Akten im Kontext wissenschaftlicher Forschung und Aufarbeitung führen wird, scheint eher unwahrscheinlich.

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