Neue Einsichtsnormen zur Missbrauchsaufarbeitung: Jetzt auch für Sachakten

Im Lauf des vergangenen Jahres hat die Mehrheit der katholischen Bistümer Einsichtsnormen für Personalakten zur Missbrauchsaufarbeitung erlassen. (Die EKD-Synode hat dagegen eine allgemeine Aufarbeitungsnorm in ihr Datenschutzgesetz geschrieben.) Die Gesetzgebung erweitert die in allen Diözesen einheitliche Personalaktenordnung um bistumsspezifische Einsichtsnormen, die Aufarbeitungskommissionen, Forschungsprojekten und Anwaltskanzleien Akteneinsicht und Auskunft ermöglichen – je nach Bistum an eine bis drei dieser Gruppen.

Karteikärtchen in einer Schublade
(Photo by Maksym Kaharlytskyi on Unsplash)

Die Einsichtsnormen haben sich dabei auch tatsächlich auf die Personalaktenordnung beschränkt. Erfasst waren also nur Personalakten von Beschäftigten im Einzugsbereich der PAO, also Klerikern, Kirchenbeamten und in der Regel auch angehende Kleriker. Eine eindeutige Rechtsgrundlage für die Verwendung von Sachakten für die Aufarbeitung gab es bislang mit zwei Ausnahmen nicht. Im Lauf des Jahres haben nun einige Bistümer die Sachakteneinsicht geregelt – teils in einer Spezialnorm nur dafür, in einem Fall mit einem einheitlichen Gesetz für Personal- und Sachakten.

Verschiedene Regelungsstrategien

Geltung nur für Personalakten

Die meisten Bistümer haben nur wenig veränderte Varianten der Musternorm in Kraft gesetzt. In der Überschrift der einzelnen Gesetze heißt es dort üblicherweise, dass es sich um Regelungen »von Einsichts- und Auskunftsrechten […] in Bezug auf Personalaktendaten« handelt, während im Normtext dann nur noch allgemein von »personenbezogenen Daten in Akten« die Rede ist. Die Normen haben also einen gewissen Interpretationsspielraum: Schränkt der Titel den Anwendungsbereich tatsächlich auf Personalakten ein, oder eröffnet die allgemeine Formulierung im Normtext auch die Erschließung von Sachakten? (Das ist der Fall in Aachen, Berlin, Dresden-Meißen, Freiburg, Görlitz, Hamburg, Hildesheim, Limburg, Magdeburg, Trier, Osnabrück, Passau, Würzburg und Rottenburg-Stuttgart.) Lediglich die Essener Ordnung regelt über einen § 1 Geltungsbereich explizit, dass sich die Ordnung nur auf Personalakten beschränkt. (Links zu den Normtexten sind in der Übersicht des alten Beitrags dazu.)

Eigenständige Regelungen für Personal- und Sachakten

Vor der aktuellen Welle auf Grundlage eines neuen Musters haben (mindestens) zwei Bistümer relativ eigenständige Normen erlassen, die eindeutig sowohl Daten in Sach- wie in Personalakten erfassen. Das Gesetz in Fulda regelt in je eigenen Paragraphen den Umgang mit Personalakten und Sachakten. Sachakten werden dabei unter deutlich geringeren Sicherheitsvorkehrungen auch als Kopie herausgegeben. In Speyer wird mit einem § 2 Regelungszweck festgelegt, dass es um einen »datenschutzkonformen Umgang[…] mit personenbezogenen Daten kirchlicher Bediensteter und Beschäftigter, Betroffener sexuellen Missbrauchs und anderer Personen, die im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Komplexes „Sexueller Missbrauch“ im Bistum Speyer« geht, die Begriffe Sach- und Personalakte tauchen gar nicht auf. Die Regelungen sind also auf alle Formen von Daten inklusive Personal- und Sachakten anwendbar. (Das Speyerer Gesetz ist in seiner Kompaktheit damit der Regelung im DSG-EKD am ähnlichsten.)

Geltung für Personal- und Sachakten nach dem Muster 2023

Schließlich gibt es seit Anfang 2023 eine neue Welle von bislang (mindestens) sechs diözesanen Gesetzen, die die Sachakteneinsicht regeln und offensichtlich auf ein gemeines Muster zurückgehen. Aachen, Erfurt, Freiburg, Magdeburg, Trier und Würzburg haben eine reine  Sachakteneinsichtsnorm erlassen, die somit die bestehenden Personalaktensichtsnormen lediglich ergänzen. Paderborn ist einen eigenen Weg gegangen und hat auf Grundlage der Musternorm ein Gesetz erlassen, das für Personal- und Sachakten gilt. (Interessant ist hier, dass der Diözesanadministrator ein Gesetz erlässt, das mit einer Befristung auf zunächst 10 Jahre über seine voraussichtliche Amtszeit deutlich hinausreicht; das steht in gewisser Spannung zum Veränderungsverbot aus cc. 427f. CIC.)

(Die Übersicht ist möglicherweise nicht vollständig, grundsätzlich wurden aber alle bis 1. November 2023 verfügbaren Amtsblätter ausgewertet.)

Inhalt der neuen Normen

Die Sachakteneinsichtsnormen orientieren sich erkennbar an den Einsichtsnormen für Personalakten. Übernommen wurde der Dreiklang aus Regelungen für Aufarbeitungskommissionen, Forschungsprojekte und Anwaltskanzleien sowie das Grundprinzip, eine Akteneinsicht ohne Einwilligung der betroffenen Person (im datenschutzrechtlichen Sinn) zu ermöglichen. Eine solche Akteneinsicht ist zulässig, wenn sie zur Aufarbeitung erforderlich ist, eine Nutzung anonymisierter Daten nicht möglich oder unverhältnismäßig ist und das kirchliche Aufarbeitungsinteresse das schutzwürdige Interesse des Betroffenen erheblich überwiegt. Gestrichen wurde das Erfordernis der Erlaubnis des Diözesanbischofs oder einer von ihm bestimmten Person. Sachakten sind damit (mit Ausnahme von Paderborn) ohne Bischofsvorbehalt für die Aufarbeitung verwendbar. Grundsätzlich gleich bleiben auch die Regelungen zu Veröffentlichungen und Schutzmaßnahmen wie die Verpflichtung auf Vertraulichkeit und Datengeheimnis sowie eine strenge Zweckbindung.

Im Vergleich zum Personalakten-Muster hat die Vorlage für die Sachakteneinsicht eine Präambel, die Aufarbeitung und Schutz von Persönlichkeitsrechten und den Ausgleich der beiden als Schutzziele benennt. Als Geltungsbereich sind »alle[…] kirchlichen Rechtsträger und deren Einrichtungen« im jeweiligen Bistum benannt – das sind deutlich mehr als die (wenigen) zentralen Einrichtungen, die Personalakten von Klerikern und Kirchenbeamten führen, also etwa auch kirchliche Vereine.

Ausführlich werden Begriffe bestimmt. Besonders relevant ist dabei der zentrale Begriff der »Unterlagen«, der die »in Sachakten, Verfahrensakten, Registraturakten und vergleichbaren Aktenbeständen vorliegenden Aufzeichnungen jeglicher Art unabhängig von ihrer Speicherungsform sowie alle Hilfsmittel und ergänzenden Daten, die für Erhaltung, Verständnis und Nutzung dieser Informationen notwendig sind« bezeichnet. Differenziert wird zudem »Auskunft« (»Offenlegung in Form der Übermittlung«) und »Einsicht« (»Offenlegung in Form der Bereitstellung«).

Fazit

Mit eigenen oder kombinierten Einsichtsnormen wird die mögliche Lücke geschlossen, die eine Regelung allein von Einsicht und Auskunft zu Personalakten gelassen hat. Das dürfte die Rechtssicherheit von Aufarbeitungsprojekten stärken. Im Vergleich zur Vorgängernorm ist mit einer Präambel und Begriffsbestimmungen sowohl die normative Verortung (die die Abwägung von Rechtspositionen durch den Gesetzgeber transparent macht) wie die Anwendung der Ordnung besser geregelt.

Noch ungeklärt ist, ob die weitreichenden Möglichkeiten, die diese Normen ermöglichen, rechtlich überhaupt zulässig sind. In den Normen wird auf die Vorrangregel in § 2 Abs. 2 KDG verwiesen, nach der Spezialgesetze dem Datenschutzrecht nur dann vorgehen, sofern sie das Datenschutzniveau des KDG nicht unterschreiten. Unstreitig dürfte sein (und so sind die Ordnungen auch konstruiert), dass im Normalfall Auskunft und Einsicht nur mit Einwilligung der betroffenen Person zulässig sind. Ob von dieser Einwilligung per Ordnung abgewichen werden kann und ob die Schutzmaßnahmen der Ordnung ausreichen, um das Schutzniveau des KDG nicht zu unterschreiten, könnte man durchaus kontrovers diskutieren – und letzten Endes müssten das Gerichte (wohl primär die kirchlichen Datenschutzgerichte) entscheiden, falls es zum Konflikt kommt.

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