Dem Däubler/Wedde/Weichert/Sommer gelingt ein Wunder: Ein Kommentar, der in einer Folgeauflage abnimmt. Ein Fingerbreit schmaler als die Vorauflage ist die neu erschienene 3. Auflage des Datenschutzkommentars mit Beschäftigtendatenschutz-Schwerpunkt. Der Eindruck täuscht: Nach Seiten ist die Neuauflage um etwas mehr als 100 gewachsen. Es ist also nur dünneres Papier.
Die Gewerkschaftsnähe zeigt sich nicht nur in der umfangreichen Berücksichtigung von Fragen aus dem Beschäftigtendatenschutz. Auch die Kommentierung des Kirchenartikels in dem im gewerkschaftseigenen Bund-Verlag erschienenen Werk ist sehr gewerkschaftlich-aktivistisch ausgefallen. Das steigert die Qualität nicht.
Der Kühling/Buchner ist unter den vielen DSGVO-Kommentaren sicher einer der bedeutenderen. Zum erklärten Konzept gehört, nicht nur das Recht zu erklären, sondern die rechtliche Diskussion sehr frühzeitig mitzuprägen, heißt es im Vorwort zur nun erschienenen vierten Auflage. Dazu wurden dieses Mal vor allem die Auswirkungen des TTDSG berücksichtigt, ohne es in Gänze zu kommentieren. (Eine Tabelle mit Fundstellen zeigt aber, dass 20 von 30 Paragraphen im Rahmen der DSGVO-Kommentierung schwerpunktmäßig kommentiert wurden.)
Art. 91 DSGVO wird wie in der Vorauflage von Achim Herbst auf gut zehn Seiten bearbeitet: Mit aktueller Literatur, ernsthafter Diskussion anderer Ansichten – aber im Ergebnis immer mit dem Blick auf europarechtliche Harmonisierung.
Grundsätzliche Überlegungen
In der grundsätzlichen Frage, was Art. 91 DSGVO denn nun rechtssystematisch ist, entscheidet sich Herbst für den Begriff der gestuften Öffnungsklausel, die sich an die Mitgliedsstaaten richtet und das auch muss: Schließlich hat die EU keine Kompetenz auf dem Gebiet der Religionspolitik und dürfte daher Religionsgesellschaften gar nicht als Adressaten angehen. Gestuft ist die Öffnungsklausel deshalb, weil sie Mitgliedsstaaten ermöglicht, im Rahmen ihres Religionsverfassungsrechts Religionsgemeinschaften Spielräume im Rahmen des Europarechts zu eröffnen oder nicht, inklusive Abwägungen zur Gleichbehandlung: Auch wenn die DSGVO darauf verzichte, wie im deutschen Recht öffentlich-rechtlich organisierte Religionen von in privatrechtlichen Körperschaften verfassten zu unterscheiden, hält der Autor eine solche Differenzierung, an die verschiedene Grade der Selbstverwaltung geknüpft sind, für zulässig.
Begrifflich entscheidet sich Herbst für die Formulierung des Grundgesetzes als Oberbegriff: Religionsgesellschaften. Die Aufzählung im Verordnungstext (»Kirche oder religiöse Vereinigung oder Gemeinschaft«) erläutert er als Oberbegriff für korporativ-institutionelle Organisationen mit religiösem Proprium. Darunter subsumiert er ausdrücklich auch Ordensgemeinschaften – das ist angesichts der Orden päpstlichen Rechts, die sich in Deutschland eigenes Datenschutzrecht geben, eine wichtige Bestätigung der tatsächlichen Handhabung.
Bedingungen für religiöses Datenschutzrecht
Das Kriterium umfassender Datenschutzregelungen fasst Herbst über den Anspruch der Vollständigkeit. Kirchliche Regelungen sollen »nicht durch staatliche Regelungen ergänzt werden müssen«. Als Beispiele werden nur das römisch-katholische und das landeskirchliche Datenschutzrecht genannt, keine weiteren. Angesichts der bewusst als Beispiel gekennzeichneten Aufzählung ist das verschmerzbar.
Beim Zeitpunkt des Inkrafttretens setzt Herbst auf den Wortlaut und lässt sich auch nicht darauf ein, hier die Argumente für eine primärrechtskonforme Auslegung zu übernehmen, die in einer Stichtagsregelung Probleme mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und Spannungen zu Art. 17 AEUV sehen. Andere Ansichten werden angeführt und kritisch betrachtet: »Allerdings sollte dabei bedacht werden, dass ein besonderes religionsgesellschaftliches Interesse an datenschutzrechtlichen Regelungen, die von der DS-GVO abweichen, außerhalb des Bereichs der in Art. 91 Abs. 2 eigens geregelten Aufsicht […] nur schwer erkennbar ist; das wird auch deutlich an dem Umstand, dass die beiden großen Kirchen die Neufassungen ihres Datenschutzrechts in enger Parallelität zur DS-GVO gestaltet haben […]. Der Beitrag des Art. 91 Abs. 1 zur Verwirklichung der Ziele des Art. 17 Abs. 1 AEUV scheint daher ohnehin nicht bedeutend zu sein.« Die große Parallelität trifft zu und ist keineswegs notwendiger Ausfluss aus dem Einklanggebot – ein Blick etwa auf das italienische Datenschutzdekret zeigt eine Umsetzung, bei der es durch die Regulierung spezifischer kirchlicher Verarbeitungssituationen deutlich plausibler scheint, dass hier eine tatsächliche Regelungsnotwendigkeit vorliegt.
Das Gebot, kirchliche Regelungen in Einklang mit der DSGVO zu bringen, ist hinsichtlich der gefordeten Zeitläufte nicht eindeutig formuliert, stellt Herbst zurecht fest: Wann dieser Einklang herzustellen ist, geht aus dem Wortlaut nicht hervor. Das führt gelegentlich zu dem Missverständnis, dass die großen Kirchen in Deutschland am Gebot der Einklangherstellung gescheitert seien, weil sie den Einklang erst mit einem Inkrafttreten am Vortag des Wirksamwerdens der DSGVO hergestellt haben. Herbst macht aber deutlich, dass das Vorgehen der Kirchen zulässig war. Er legt die Vorschrift so aus, dass religiöses Datenschutzrecht bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der DSGVO in Einklang gebracht werden musste und begründet das mit dem Schutz- und Harmonisierungszweck der DSGVO. Originell ist die von ihm gesehene Konsequenz bei fehlendem Einklang zum Wirksamwerden: Dann wird das religiöse Recht nicht dauerhaft hinfällig, sondern wird nur solange durch die DSGVO ersetzt, bis es in Einklang gebracht wurde. Setzte sich diese Auslegung auch durch, könnten die Kirchen einer möglichen Feststellung fehlenden Einklangs deutlich gelassener entgegensehen. (Auch wenn niemand den Einklang von KDG und DSG-EKD überprüfen zu wollen scheint: Kleinere Gemeinschaften haben diese Regelwerke größtenteils unverändert übernommen, und kleinere Gemeinschaften und ihre Datenschutzregelungen sind durchaus umstritten – hier könnte über Bande eine Feststellung fehlenden Einklangs von KDG oder DSG-EKD drohen, wenn ein Gericht den Einklang etwa von alt-katholischer KDO oder freikirchlicher DSO überprüft.)
Materiell sieht Herbst keinen Spielraum für die Kirchen beim Einklang; das einzige Zugeständnis ist, dass keine wörtliche Übereinstimmung verlangt wird. Begründet wird das nachvollziehbar über die Öffnungsklausel für Medien aus Art. 85 DSGVO, wo explizit Abweichungsoptionen eröffnet werden. Angesichts dieser Position wird aber das vorher angeführte Argument etwas zirkulär, dass man bei den Kirchen kein Selbstverwaltungsinteresse im Datenschutzrecht feststellen kann, weil sie ihre Regelungen weitgehend parallel formuliert haben – als hätten sie nach dieser Position eine echte Wahl, wenn es nicht nur darum gehen soll, l’art pour l’art umzuformulieren und umzustellen.
Aufsicht
Für Herbst ist die eigene Datenschutzaufsicht deutlich plausibler als eigenes Datenschutzrecht: »Die Ausgestaltung dieser Aufsicht ist von besonderer Bedeutung für die Eigenständigkeit der Religionsgesellschaften gegenüber dem Staat; insbesondere die Ausübung der Befugnisse der Aufsichtsbehörde aus Art. 58 Abs. 1 lit. e und f, also der – ggf. erzwungene – Zugang zu personenbezogen Daten und zu Geschäftsräumen und Datenverarbeitungsanlage kann als staatlicher Eingriff in die internen Angelegenheiten einer Religionsgesellschaft erscheinen.« Der Autor unterscheidet die gewählte Lösung einer spezifischen Aufsicht von der in Art. 90 DSGVO normierten Begrenzung der Aufsichtskompetenzen im Fall von Berufsgeheimnisträgern. Diese Argumentation aus einem Vergleich mit anderen Regelungen der DSGVO heraus ist eine große Stärke dieser Kommentierung und nimmt den Gesetzgeber als systematisch ernst (aber möglicherweise ernster, als der chaotische EU-Gesetzgebungsprozess rechtfertigt).
Die Begründung für spezifische Aufsichten überzeugt. Nicht problematisiert wird aber die logische Folgefrage: Warum sollten nur Religionsgemeinschaften mit eigenem Datenschutzrecht dieses Bedürfnis eines besonderen Schutz des internenen Bereichs vor staatlichen Aufsichtsbehörden haben? Systematisch wäre es sinnvoller, hätte sich der Gesetzgeber dazu entschieden, Religionsgemeinschaften generell eine spezifische Aufsicht zuzugestehen, ohne die Erfordernisse eines eigenen Rechts. Hat er aber nicht.
Bei den Umsetzungen von KDG und DSG-EKD von Abs. 2 geht Herbst davon aus, dass die kirchlichen Aufsichten die Anforderungen erfüllen; wo es Zweifel gibt, ob die kirchlichen Regelungen hinter staatliche zurückfallen, könne sie eine europarechtskonforme Auslegung ausräumen. Ausdrücklich weist er die von Seifert geäußerte (und hier bereits kritisierte) Kritik an den kirchlichen Aufsichten als »nicht ganz nachvollziehbar« zurück.
DSGVO und nationales Recht
Eine weitere besondere Stärke ist der Blick auf nationales Recht und die Auswirkungen der DSGVO-Norm. So vertritt Herbst etwa die Position, dass das Kriterium des Umfassenden nach nationalem Recht zu klären ist. Alte Fragen nach »beredtem Schweigen« und danach, welche Religionsgemeinschaften für welche ihrer Tätigkeiten und Körperschaften eigenes Recht anwenden können, bleiben relevant: »So mag etwa eine privatrechtlich organisierte Religionsgesellschaft zwar über ausführliche eigene Datenschutzregeln verfügen (etwa in einer Vereinssatzung) – soweit man den Standpunkt vertritt, dass das BDSG aF für diese Religionsgesellschaft uneingeschränkt galt, kommt man zu dem Schluss, dass diese eigenen Regeln nicht ›umfassend‹ iSd Art. 91 Abs. 1 waren, weil sie das staatliche Datenschutzrecht eben nicht ersetzten, und dass daher nun auch die DS-GVO uneingeschränkt für diese Religionsgesellschaft gilt.« Art. 91 gestattet Religionsgesellschaften nur dann ein Sonderregime, wenn sie zuvor eines hatten. »Ein solches Sonderregime liegt aber nicht schon immer dann vor, wenn eine Religionsgesellschaft über eigene Regeln verfügt, sondern erst dann, wenn diese eigenen Regeln auch vom Staat in der Weise anerkannt werden, dass er sein eigenes Datenschutzrecht gegenüber der Religionsgesellschaft zurücknimmt.« Dass das im BDSG immer noch nicht klar geregelt ist, thematisieren Manuel Klar und Jürgen Kühling in ihrer Kommentierung von § 2 BDSG zur Frage nach der Einordnung öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgemeinschaften; sie plädieren für eine Behandlung analog zu nicht-öffentlichen Stellen, wenn kein eigenes Datenschutzrecht vorliegt.
Knapp wird zum Schluss darauf hingewiesen, dass eine Beteiligung der spezifischen Aufsichten am Willensbildungsprozess der staatlichen Aufsichten unter bestimmten Bedingungen in § 18 Abs. 1 S. 4 BDSG geregelt ist. (Die Grenzen und Probleme dieser Regelung werden bei der BDSG-Kommentierung durch Alexander Dix gut dargestellt.)
Fazit
Den Anspruch, die Debatte auf der Höhe der Zeit mitzugestalten, löst die neue Auflage des Kühling/Buchner ein; bis wenige Monate vor Erscheinen wurde die Literatur ausgewertet (für die Art.-91-Kommentierung etwa die Ende 2022 erschienene Dissertation von Michaela Hermes). Herbst kommentiert den Kirchenartikel durchweg nachvollziehbar und argumentativ überzeugend. Die Grundausrichtung legt einen größeren Wert auf den Harmonisierungszweck der DSGVO als auf eine Auslotung möglichst großer Spielräume für Religionsgemeinschaften. (Auch das lässt sich sehr plausibel europarechtlich mit Blick auf Art. 17 AEUV vertreten, wie Ansgar Hense regelmäßig zeigt.) Gleichzeitig zeigen sich Probleme bei einer Betonung der Harmonisierung: Vor allem die gleichzeitige Kritikk an zu großer Parallelität bei gleichzeitigem Konstatieren ohnehin nicht vorhandenen Spielraums sind ein Sympton dafür. Die umfassende Rezeption und Zitation auch religionsfreiheitsfreundlicher Literatur ermöglicht hier aber, den Blick zu weiten.
DSGVO-Kommentare in deutscher Sprache gibt es quasi beliebig viele. In anderen Sprachen sieht es anders aus. So anders, dass das Vorwort zum jetzt erschienenen englischsprachigen Kommentar von Spiecker gen. Döhmann/Papakonstantinou/Hornung/de Hert erst einmal erklären muss, was so ein »Article-by-Article Commentary«, wie es auf der Titelseite heißt, eigentlich ist. Der Ansatz von »General Data Protection Regulation« ist die hier sattsam bekannte Kommentarform mit einem klar internationalen Fokus zu verbinden: Autor*innen aus verschiedenen Ländern kommentieren mit einem deutlich auf Rechtsprechung und Rechtsbestand der EU konzentrierten Ansatz.
Art. 91 DSGVO hat in den meisten EU-Mitgliedsstaaten keine praktische Bedeutung. Es liegt also nah, dass hier mit Achim Seifert ein deutscher Autor zum Zug kommt. Seifert hat bereits im Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann diesen Artikel kommentiert. Einiges aus dieser Kommentierung findet sich nun auch in der neuen Fassung. Leider sind dabei auch einige Probleme übernommen worden.
An Kommentaren zur DSGVO mangelt es nicht. Neben der DSGVO sind in Deutschland zusätzlich das BDSG und die 16 Landesdatenschutzgesetze relevant. Während das BDSG ähnlich umfangreich kommentiert ist wie die DSGVO, gibt es zum Landesrecht weniger Literatur. Für das Landesrecht in Bayern erscheint ein Loseblattwerk: Zum Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch ist mittlerweile die 36. Ergänzungslieferung erschienen. Aktualisiert wurde dabei auch die Kommentierung von Art. 91 DSGVO.
Herausgeber Christian Peter Wilde hat sich des Kirchenartikels angenommen – und obwohl es nicht ganz offensichtlich ist, warum es hier viel Mühe in einem Werk mit Relevanz für ein Bundesland braucht, zeigt die Kommentierung: Bei weitem nicht alles ist klar, einige interessante Rechtsfragen sind theoretisch wie praktisch offen.
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Die Kirchliche Datenschutzgerichtsordnung ist bislang nur sehr knapp kommentiert. In Sydows KDG-Kommentar findet sich eine kaum zehnseitige von Ulrich Rhode besorgte Einführung, die zudem noch auf recht wenig Entscheidungen der kirchlichen Datenschutzgerichte zurückgreifen konnte. Diese Lücke schließt nun der neue Kommentar von Hermann Reichold, Thomas Ritter und Christian GohmAffiliate link, der die KDSGO neben der Mitarbeitervertretungsordnung und der Kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung kommentiert.
Die Zusammenstellung wirkt auf den ersten Blick etwas wunderlich, vor allem das Nebeneinander von KAGO- und KDSGO-Kommentar ist allerdings hilfreich, und beschweren sollte man sich ohnehin nicht, wenn diese wichtige Materie Huckepack mitkommentiert wird, wo es wohl für einen Stand-alone-Kommentar nur einen zu kleinen Markt geben würde. Trotz Kinderkrankheiten: Der erste ausführliche KDSGO-Kommentar schließt eine große Lücke.
Der Praxis-Kommentar DSGVO von Freund/Schmidt/Heep/Roschek(Affiliate link) hat den Anspruch, eine Kommentierung für den Alltag zu sein. Diese Heransgehensweise ist für einen eher abstrakten Artikel wie Art. 91 DSGVO anspruchsvoll. In der Gliederung und Schwerpunktsetzung gelingt es aber mit vertiefter Kenntnis der kirchlichen Datenschutzlandschaft, das Ziel zu erreichen.
So kenntnisreich der Kommentar auch Wissen zum kirchlichen Datenschutz sammelt: Etwas mehr Sorgfalt bei der Ausweisung der Quellen hätte ihm gut getan – und an der hybriden Form muss auch noch gearbeitet werden.
Die Kommentarlandschaft bleibt auch im Jahr 5 der DSGVO-Geltung bunt. Und anscheinend werden die Kommentare auch tatsächlich gekauft – sonst würden sie nicht in neuen Auflagen erscheinen. Zwei Standardwerke sind in diesem Spätjahr in dritter Auflage erschienen: Der Gola und der Sydow.
Nicht nur die Zahl der Neuauflagen haben die Werke gemeinsam: Im Laufe der Zeit haben beide Werke einen Co-Herausgeber bekommen (Heckmann bei Gola, Marsch bei Sydow), beide kommentieren nun auch das BDSG. Ein Blick in die Kommentierung von Art. 91 DSGVO zeigt, dass es hier tatsächliche Fortschritte gibt: Auch wenn die Rechtsprechung direkt zu Art. 91 DSGVO nach wie vor fehlt, hat sich die Literatur zum kirchlichen Datenschutz doch deutlich diversifiziert.
Loseblattsammlungen versprechen besondere Aktualität und verströmen die Ästhetik maximaler Sachlichkeit. Eine Zierde fürs Bücherregal sind sie dagegen nicht. Das gilt auch für die Sammlung in drei Ordnern des Datenschutzrechts-Kommentars von Bergmann/Möhrle/Herb.
Die Kommentierung des Kirchenartikels ist knapp, zeichnet sich aber durch eine hohe Praxisorientierung aus. Die Aufnahme der beiden großen kirchlichen Datenschutzgesetze unter die aufgenommenen Gesetzestexte zeigt, dass die Herausgeber kirchlichen Datenschutz im Blick haben.
Die zweite Auflage des Datenschutzrechts-Kommentars(Affiliate link) von Heinrich Amadeus Wolff (seit kurzem Richter am Bundesverfassungsgericht) und Stefan Brink (bald nicht mehr baden-württembergischer Landesdatenschutzbeauftragter) ist erschienen. Neben einer Kommentierung von DSGVO und BDSG zeichnet sich dieser Kommentar auch durch einen Grundlagenteil mit Aufsätzen zu bereichsspezifischem Datenschutz aus.
Die von Daniel Mundil besorgte Kommentierung des Art. 91 DSGVO ist kompakt, bringt aber einige neue Aspekte ein, die so in anderen Kommentaren nicht zu finden sind und beleuchtet dabei insbesondere die Frage nach der Funktion und dem Spielraum, den die DSGVO kirchlichem Datenschutzrecht zuspricht.
Kommentierung des Art. 91 DSGVO
Mit sechs Seiten gehört die Kommentierung zu den kürzeren. Gut gelöst ist die Einführung: In einem Überblick wird kompakt die Problematik eines der wohl dunkelsten Artikel in der DSGVO aufgezeigt und zugleich die Perspektive transparent gemacht, unter der der Autor seine Kommentierung vornimmt: Der Kirchenartikel als Umsetzung des Art. 17 AEUV, der das mitgliedstaatliche religionsverfassungsrechtliche Gefüge schützt. Mundil macht deutlich, dass der Artikel viel Auslegung bedarf: »Die Vorgaben beruhen im Wesentlichen auf unbestimmten Rechtsbegriffen, die einen erheblichen Auslegungsspielraum lassen«, so der Autor. Daneben stelle sich bei wörtlicher Anwendung von Abs. 1 die Frage, »weshalb es überhaupt besonderer Regelungen für die Religionsgemeinschaften bedurfte, da diese offenbar ohnehin zur vollständigen Rechtsangleichung verpflichtet sind.«
Auf eine Darstellung der Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO folgt die Erläuterung des Art. 91 DSGVO mit einem Schwerpunkt auf dem ersten Absatz. Der historische Teil ist dabei deutlich weniger ausführlich als in anderen Kommentaren – etwa Hense bei Sydow –, zeigt aber gut auf, welche Veränderungen die neue Rechtslage durch die erstmalige Kodifizierung kirchlichen Datenschutzes im säkularen Recht ermöglicht. Insbesondere begrüßt Mundil, dass mit Art. 91 DSGVO, der nicht zwischen öffentlich-rechtlich und privatrechtlich verfassten Religionsgemeinschaften unterscheidet, mehr Gleichbehandlung zwischen diesen verschiedenen Organisationsformen organisierter Religion möglich wird.
Die Kommentierung der aktuellen Rechtslage greift die Position des Überblicks auf und problematisiert die durchweg interpretationsbedürftigen offenen bis ungeklärten Rechtsbegriffe – allerdings ohne Reformvorschläge zu benennen. Dabei entscheidet sich Mundil aus seinem Ausgangspunkt aus den Grundrechten und Art. 17 AEUV für eine Auslegung, die das Ziel kollektiver Religionsfreiheit nicht aus dem Auge verliert, so gleich zu Beginn beim Anwendungsbereich, wo er einem zu engen, allein auf den religiösen Kernbereich konzentrierten Bereich eine Absage erteilt. Dass dabei als Beispiele ein Online-Klostershop und der religiöse Kursbetrieb eines Klosters als Beispiele angeführt werden, spricht dafür, dass tatsächlich relevante Anwendungsbereiche im Blick sind. »Um hier den von Art. 17 AEUV und Art. 91 geforderten autonomen Rechtssetzungsbereich der Religionsgemeinschaften tatsächlich zu gewährleisten gilt es, den Anwendungsbereich entsprechend weit auszulegen«, argumentiert Mundil. Das sei auch ohne die Verletzung dogmatischer Ansätze unter Verweis auf Rechtsprechung des BVerfG zu »Randbetätigungen« der Religionsgemeinschaften möglich – der Autor führt das BVerfG-Urteil vom 15. Januar 2002 – 1 BvR 1783/99 zum Schächten an. Implizit geht Mundil damit anscheinend über die von den Kirchen selbst vertretene Position hinaus, dass reine Wirtschaftsbetriebe nicht dem kirchlichen Datenschutzregime unterfallen. Hier wäre eine explizite Klärung dieser Frage wünschenswert gewesen. (Rn. 15)
Eine kollektive Religionsfreiheit achtende Auslegung von Art. 91 DSGVO muss immer mit dem Wortlaut kämpfen. So auch hier angesichts der eigentlich klaren Formulierung, die nur bestehenden Regelungen Bestandsschutz gewährt und selbst Veränderungen der bestehenden Regelungen begründungsbedürftig macht. Immerhin: Das Erfordernis von In-Einklang-Bringen deute darauf hin, dass eine »Versteinerung« des Normbestands nicht im Sinn und Zweck der Vorschrift liege. Bleibt das Problem von Neu- und Erstregelungen. Mundil konstatiert ein Dilemma, dass einerseits ein klarer gesetzgeberischer Wille zur Vereinheitlichung des Datenschutzes festzustellen ist, zugleich aber der Wille zum Schutz der kollektiven Religionsfreiheit und der jeweiligen nationalen staatskirchenrechtlichen Systeme. Im Ergebnis spricht er sich dafür dass, dass der Gleichheitsgrundsatz und das Schutzziel der Vielfalt der Religionen in der Grundrechtscharta »für eine weite Auslegung insbeonsdere zugunsten neu hinzutretender Religionsgemeinschaften« spreche. (Rn. 18)
(Ein kleiner Fehler findet sich in Randnummer 18a: Hier wird der 18. Mai 2018 als Datum des Inkrafttretens von KDG und DSG-EKD genannt, richtig ist der 24. Mai 2018.)
Bei der Auslegung des Begriffs der »umfassenden Regeln« spricht sich Mundil dafür aus, dass damit das Gesamtwerk gemeint ist anstatt einer Betrachtung je einzelner kirchlicher Normen. Die konkrete Konsequenz ist die Position, dass immer ein kirchliches Gesamtwerk zur Anwendung kommt und nicht einzelne ungenügende Normen durch DSGVO-Normen ersetzt werden. (Rn. 19)
Dieser Gedanke eines Gesamtwerks, der sicherlich der wichtigste Beitrag dieser Kommentierung ist, wird in der Diskussion des geforderten »Einklangs« noch einmal deutlicher. Mundil spricht sich gegen eine enge Auslegung aus, die Kirchen lediglich Konkretisierungen zugestehen will und ansonsten das Ziel einer Vollharmonisierung mit der DSGVO ausgibt. Stattdessen plädiert er für die Auslegung von Art. 91 DSGVO als eine Art »Richtlinienregelung«. Mundil denkt diese Analogie, die sich auch in anderen Kommentierungen findet, konsequent durch: »Ähnlich wie bei Richtlinienbestimmungen mit zwingenden Vorgaben für die Mitgliedsstaaten wären die Religionsgemeinschaften zwar gehalten, die inhaltlichen Vorgaben verbindlich in ihr Recht zu übernehmen. Sie können aber ihre Rechtsetzungsautonomie dahin wahren, dass sie die Vorgaben durch eigene Rechtsstrukturen umsetzen würden«, so der Autor. Das führe dann auch dazu, dass bei einer Kollision mit Regelungen der DSGVO nicht die EU-Verordnung über den Anwendungsvorrang zum Tragen käme, sondern vielmehr den kirchlichen Gesetzgebern aufgegeben sei, ihre Regeln anzupassen. Ausgelassen wird die Frage, wie das festgestellt werden kann. Wahrscheinlich brauchte es für die Feststellung einer Kollision kirchlichen Datenschutzrechts mit der DSGVO wohl eine EuGH-Vorlage durch ein Gericht. Während das durch die kirchlichen Gerichte seitens des EU-Rechts wohl zulässig wäre, ist die Frage von kirchenrechtlicher Seite noch nicht bearbeitet. Kirchliche Datenschutzrichter jedenfalls zeigen sich eher skeptisch, wenn eine Vorlage überhaupt realistisch ist, dann eher durch ordentliche und Arbeitsgerichte, die kirchliches Datenschutzrecht anwenden.
Wie in anderen Kommentaren wird Art. 91 Abs. 2 DSGVO zu den spezifischen Aufsichten eher schnell abgehandelt. Auch hier wird die unklare Formulierung gerügt. Mundil sieht von der Norm sowohl besondere staatliche Aufsichtsbehörden mit Zuständigkeit für die Religionsgemeinschaften wie eigene Aufsichten der Religionsgemeinschaften gedeckt. Im zweiten Fall verweist der Autor auf Art. 53 Abs. 1, 4. Spiegelstrich DSGVO, der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Mitglieder von Aufsichtsbehörden »von einer unabhängigen Stelle, die nach dem Recht des Mitgliedstaats mit der Ernennung betraut wird« ernennen zu lassen; das könnte dann im Fall einer kirchlichen Aufsicht eine kirchliche unabhängigen Stelle sein. Das ist konsequent, sieht Art. 91 Abs. 2 DSGVO doch vor, dass die spezifischen Aufsichten den Anforderungen von Kapitel VI DSGVO zu erfüllen hat – Art. 53 war dabei aber bislang selten in der Diskussion. Das tatsächlich von beiden großen Kirchen praktizierte Modell wird von Mundil gar nicht erwähnt: Rein kirchliche Aufsichten ohne staatliche Beteiligung, bei denen Art. 53 Abs. 1 DSGVO derart analog angewandt wird, dass die »Regierung« (der Rat der EKD nach dem DSG-EKD) oder das »Staatsoberhaupt« (der Diözesanbischof nach KDG) die jeweilige Aufsicht bestellt, die Aufsicht also nicht von den in Art. 53 DSGVO eigentlich benannten Instanzen bestellt wird.
Kommentierung von § 18 Abs. 1 S. 4 BDSG
Die Kommentierung von § 18 BDSG wird von Olaf Kisker besorgt, der in Rn 4a auch die Beteiligung der spezifischen Aufsichten beim Verfahren der Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder berücksichtigt – keine Selbstverständlichkeit; andere Kommentare lassen diesen Aspekt gern aus. Kisker ist Regierungsdirektor beim BfDI, und so überrascht es kaum, dass er sich die Position der Datenschutzkonferenz zur sehr begrenzten Beteiligung der spezifischen Aufsichten an der Entscheidungsfindung der DSK zueigen macht. Zwar sei die für die Beteiligung der spezifischen Aufsichten notwendige »Betroffenheit« noch nicht abschließend geklärt. Außer bei im Einzelfall vorliegender Zuständigkeit im One-Stop-Verfahren aber »dürfte eine Betroffenheit nur dann vorliegen, wenn inhaltlich gerade der Bereich des Rundfunks bzw. der Kirchen in besonderer Weise tangiert wird. Es reicht nicht aus, dass die Angelegenheit für die spezifischen Aufsichtsbehörden in gleicher Weise von Belang ist, wie für alle anderen Aufsichtsbehörden«, so Kisker. Das Gebot der Beteiligung reiche auch nur so weit, dass die Stellungnahmen der Spezifischen berücksichtigt werden, daraus folge aber kein Anspruch darauf, den gemeinsamen Standpunkt auch im Sinn der Stellungnahme auszugestalten.
Fazit
Der Wolff/Brink ist auch über die für den kirchlichen Datenschutz einschlägigen Kommentierungen hinaus ein Kommentar, bei dem die Anschaffung lohnt. Das Alleinstellungsmerkmal sind Abschnitte zu bereichsspezifischem Datenschutz, die sich Gebieten wie Gerichten, freien Berufen, Medien oder Finanzwesen widmen. Leider fehlt dabei sowohl der Bereich Religionsgemeinschaften wie der Bereich Sozialdatenschutz – noch. Denn noch sind sechs Buchstaben in diesem Abschnitt unbesetzt. Insbesondere eine Aufnahme des Sozialdatenschutzes in einer möglichen Folgeauflage könnte diesen Kommentar zu einem im kirchlichen Bereich besonders relevanten machen.
Die Kommentierung von Art. 91 DSGVO verfolgt eine sehr eigenständige und konsequente Auslegung, die sowohl den Wortlaut wie das EU-Primärrecht ernstnimmt. Damit stärkt sie die mittlerweile wohl herrschende Meinung, in der Tendenz Grundrechte und die kollektive Religionsfreiheit stark zu machen, ergänzt aber auch wichtige neue Elemente: Die Interpretation als Richtlinienregelung mit all ihren Konsequenzen findet sich so nirgends sonst und verdient breitere Rezeption.