Bundesverfassungsgericht befasst sich mit Streit um Kirchengemeinderatsprotokoll

Der Streit um die Herausgabe eines Protokolls einer Kirchenvorstandssitzung beschäftigt das Bundesverfassungsgericht – und jetzt ist klar: Trotz der fehlenden aufschiebenden Wirkung einer Verfassungsbeschwerde kann das Urteil des Bundesarbeitsgerichts auf Herausgabe erst einmal nicht vollstreckt werden. Die staatskirchenrechtlichen Bedenken der Kirchengemeinde sieht das Bundesverfassungsgericht nicht für offensichtlich unbegründet an.

Das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe

(Bild: Nicola Quarz (Wikimedia Commons), CC BY-SA 4.0, bearbeitet.)

Bereits am 15. Mai hat das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag der Kirchengemeinde beschieden, die damit auf einen Beschluss des Landgerichts Stuttgart reagiert, der die Zwangsvollstreckung des BAG-Urteils durch eine Durchsuchung der Geschäftsräume angeordnet hatte. Der Beschluss (2 BvR 211/25) wurde nun veröffentlicht. Das bedeutet: Das BVerfG wird sich wieder einmal zur Reichweite der kirchlichen Selbstbestimmung äußern.

Hintergrund – worum geht’s?

Der Streit zwischen einer Kirchenmusikerin und einer Stuttgarter Gemeinde zieht sich seit Jahren hin: Die Gemeinde will keine Einsicht in das Protokoll einer Gemeinderatssitzung gewähren, in der es um arbeitsrechtliche Maßnahmen ging. Im vergangenen Oktober hat das Bundesarbeitsgericht der Kirchenmusikerin recht gegeben – nicht auf Grundlage des Datenschutzrechts, sondern auf Grundlage des Arbeitsrechts. Das Protokoll gehöre zur materiellen Personalakte und sei daher herausgabepflichtig. Ausführlich habe ich das Urteil (8 AZR 42/24 vom 17. Oktober 2024) im Dezember besprochen.

Mit der Entscheidung des BAG war der Instanzenzug ausgeschöpft. Dennoch weigerte sich die Kirchengemeinde, das Urteil umzusetzen. Im Februar legte die Gemeinde Verfassungsbeschwerde ein – allerdings damals noch ohne Eilantrag.

Verfassungsbeschwerden haben keine aufschiebende Wirkung. Am 5. Mai ordnete daher das LG Stuttgart (Az. 2 T 80/25) die Zwangsvollstreckung des BAG-Urteils an (nachdem die Vorinstanz – AG Stuttgart, 17. Februar 2025, 9 M 50026/25 – es noch anders gesehen hatte). Erst daraufhin bemühte sich die Kirchengemeinde um eine einstweilige Anordnung des BVerfG, um die Durchsuchung zu verhindern.

Einstweilige Anordnung durch das BVerfG

Die einstweilige Anordnung ist keine Überraschung. Die Hürden dafür sind recht niedrig. Ausdrücklich geht es nicht darum, die Hauptsache vorwegzunehmen: Bei der Folgenabschätzung geht es um eine »bloße Einschätzung der Entscheidungswirkungen«.

Es wird bei einem offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde lediglich geprüft, ob ein Erlass einer Anordnung schwerwiegendere Folgen hat als kein Erlass. Heißt im konkreten Fall: Wenn erstmal die Gemeinde durchsucht und das Protokoll herausgegeben wird, geht die Zahnpasta nicht mehr in die Tube zurück, egal wie die Verfassungsbeschwerde ausgeht. Wenn erstmal nicht durchsucht wird, kann man später immer noch das Urteil durchsetzen, wenn die Beschwerde keinen Erfolg hat. Die Verzögerung bei Ablehnung ist weniger schwerwiegend als die Herausgabe bei Annahme, also ist die einstweilige Anordnung zu gewähren.

Die Folge ist, dass das Urteil des BAG erst einmal nicht wie vom LG Stuttgart entschieden durch eine Durchsuchung der Kirchengemeinde vollstreckt wird, und zwar bis zu einer Entscheidung der Verfassungsbeschwerde, längstens aber sechs Monate lang.

Zur Sache – die Verfassungsbeschwerde

Das BVerfG bewertet die Verfassungsbeschwerde weder von vornherein als unzulässig noch als offensichtlich unbegründet.

Ein Fall für das BVerfG ist die Beschwerde, weil Grundrechte berührt sind:

»Sie wirft insbesondere die Frage auf, ob und inwieweit das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV nach Maßgabe der einschlägigen kirchenrechtlichen Bestimmungen der Herausgabe einer Kopie des Protokolls einer nichtöffentlichen Sitzung des Kirchengemeinderats der Beschwerdeführerin an eine im kirchlichen Dienst nicht mehr beschäftigte Person, hier der Klägerin des Ausgangsverfahrens, entgegensteht oder ob sich gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt von deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ein entsprechender (nachvertraglicher) Herausgabeanspruch ergibt.«

Im Eilverfahren konnte das BVerfG die von ihm hier festgestellten »insoweit aufgeworfenen Fragen von Tragweite und Grenzen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts« nicht klären, daher die Anordnung. Es scheint darauf hinauszulaufen, das Selbstbestimmungsrecht mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung abzuwägen – und damit wäre dann der Datenschutz wieder drinnen, nachdem zuvor rein arbeitsrechtlich vorgegangen wurde.

Das BAG hatte sich nämlich mit religionsverfassungsrechtlichen Fragen nicht befasst und den Fall konsequent arbeitsrechtlich behandelt, ohne dass evangelisches Datenschutzrecht herangezogen wurde. Erwähnt wird das Verhältnis von kirchlichem und staatlichem Recht nur in einer Randnummer und kommt – wie üblich in solchen Fällen – zu dem Schluss, dass Fragen des bürgerlichen Rechts als Streitigkeiten aus einem für alle geltenden Gesetz im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV grundsätzlich der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegen, so auch hier.

Damit konnte das BAG ohne weitere religionsverfassungsrechtliche Erwägungen vorgehen: Das Protokoll, um das sich der Streit dreht, wurde unter den Begriff der materiellen Personalakte subsumiert, damit ist es vom (kirchen-)arbeitsrechtlich normierten Einsichtsanspruch erfasst. Dass der Kirchengemeinderat in nichtöffentlicher Sitzung getagt habe, sei unerheblich, weil das inviduelle Abstimmungsverhalten der Mitglieder nicht protokolliert worden sei. Wo das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinde durch die Anwendung kirchlichen Arbeitsrechts tangiert sei, geht aus den veröffentlichten Entscheidungen nicht hervor.

Verfassungsrechtliche Fragen spielten auch bei dem Verfahren vor dem AG und dem LG Stuttgart keine Rolle, hier ging es nur um die Durchsetzung des BAG-Urteils. (Beide Entscheidungen liegen mir vor, sind aber anscheinend noch nicht veröffentlicht.) Im LG-Urteil wird die Verfassungsbeschwerde zwar erwähnt, aber zutreffend festgestellt, dass eine Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat und zu diesem Zeitpunkt keine Anordnungen des Verfassungsgerichts bekannt waren: »Der letztinstanzlich erstrittene Titel ist ohne weiteres vollstreckbar.« (Hervorhebung im Original.)

Fazit

Für die Klägerin ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur insofern eine Niederlage, als dass die Verfassungsbeschwerden nicht von vornherein als offenkundig unzulässig oder unbegründet zurückgewiesen wurde. Ansonsten ist noch nichts entschieden, die einstweilige Anordnung nimmt in der Sache gar nichts voraus. Die Entscheidung erging ausschließlich aus der schlüssigen Folgenabwägung: Der Schaden eines zu Unrecht herausgegebenen Protokolls wäre größer als die weitere Verzögerung einer zustehenden Herausgabe des Protokolls.

Wenn es dann zur Hauptsache kommt, dürfte es spannend werden: Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wurde in der Tradition des BVerfG immer sehr hoch gehalten. In den vergangenen Jahren hatte es aber verhältnismäßig wenig zu entscheiden, die relevanten Fälle verhandelte und verhandelt der EuGH. Und dort herrscht eher eine laizistische Rechtstradition als die in Deutschland übliche kooperative. Interessant dürfte die Abwägung von Selbstbestimmungsrecht und informationeller Selbstbestimmung werden – das könnte auch für den kirchlichen Datenschutz insgesamt Bedeutung haben.

Für das BVerfG ist der Fall eine Gelegenheit, seine bisherige Rechtssprechung weiterzuentwickeln. Das kann spannend werden – muss es aber nicht: Warum die Kirchengemeinde über alle Instanzen sich weigert (bis zur einstweiligen Anordnung sogar durch eine Weigerung, ein rechtskräftiges letztinstanzliches Urteil und seine Konsequenzen zu akzeptieren und umzusetzen), bleibt unklar. Es provoziert den bösen Anschein, dass nicht die Freiheit der Kirche geschützt, sondern der Kirchengemeinderat in seinem Handeln – was auch immer das war – gedeckt werden soll. Am Ende könnte also auch einfach nur stehen, dass die Entscheidung des BAG Bestand hat und das Protokoll aus trivialen arbeitsrechtlichen Gründen herauszugeben war.

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