Die Landschaft der katholischen Akteneinsichtsregelungen ist unübersichtlich: Mindestens zwei Musterordnungen für Personal- und Sachakten existieren, die von den unterschiedlichen Bistümern unterschiedlich und teils sehr eigen umgesetzt wurden. Nun kommt eine weitere Variante aus dem Bistum Trier dazu: Eine Ordnung zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten von Betroffenen sexuellen Missbrauchs und Dritten, die am 1. April in Kraft tritt.

Erstmals wird damit die Akteneinsicht speziell für Missbrauchsbetroffene und ihre Angehörigen geregelt, nicht nur für die institutionelle Aufarbeitung – zusätzlich zu bereits bestehenden Auskunfts- und Einsichtsrechten, sowohl speziellen wie datenschutzrechtlichen. Ist das gelungen?
Bestehende Regelungen und Verhältnis zur Auskunftsordnung
In Trier gibt es bereits zwei weitere ähnliche Normen:
- Seit 2022 gilt die Ordnung zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten Dritter in Bezug auf Personalaktendaten von Klerikern. Sie regelt, unter welchen Bedingungen Aufarbeitungskommissionen, Forschungsinstitutionen und Anwaltskanzleien Personalakten von Klerikern verwenden können und basiert auf der bundesweiten Musterordnung. (Nur in der Überschrift ist die Rede von Klerikern, in der Ordnung selbst ist von »Bediensteten« die Rede. Andere Bistümer beziehen sich auch auf Kirchenbeamte.)
- Seit 1. April 2023 gilt die Ordnung zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten für die Kommissionen zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener, für Forschungszwecke und für Rechtsanwaltskanzleien in Bezug auf Sachakten, Verfahrensakten, Registraturakten und vergleichbare Aktenbestände der laufenden Schriftgutverwaltung auf der Grundlage einer weiteren Musterordnung.
Darüber hinaus gelten die allgemeinen Regelungen, also das KDG für den Datenschutz, die KAO für das Archivrecht und die PAO für die Personalakten.
Die neue Einsichtsordnung lässt die bestehenden Regelungen grundsätzlich unangetastet: Für Personalakten von Klerikern gilt die PAO (die Ordnung zur Personalakteneinsicht wird nicht erwähnt), eine Einsicht in Personalakten sonstiger Beschäftigter gibt es nicht. Bei bereits archivierten Akten wird die Archivordnung angewandt. Die Ordnung zur Sachakteneinsicht bleibt unberührt.
Das Verhältnis zum KDG wird in einem eigenen Paragraphen ausgeführt: Sie findet Anwendung, ausdrücklich müssen Personen, denen nach der Ordnung Auskunft erteilt wird, auf Vertraulichkeit verpflichtet werden. Regelungen des KDG werden nicht ausgesetzt – das ist wichtig für das somit auch unberührte Auskunftsrecht gemäß § 17 KDG.
Ordnung zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten
Betroffene und Dritte – wer hat Einsichts- und Auskunftsrechte?
Die Ordnung definiert zwei Personengruppen, der sie Rechte zuerkennt:
- Betroffene sind nicht datenschutzrechtlich zu verstehen, sondern als »Personen ab dem Zeitpunkt der Bestätigung der Plausibilität eines Hinweises gemäß Ziffer 20 der Interventionsordnung für das Bistum Trier« – wer als missbrauchsbetroffen gilt, bemisst sich also nach kirchenrechtlichen Normen. Sie haben ein grundsätzlich immer ein Einsichts- und Auskunftsrecht.
- Dritte sind erfasst, »sofern sie einen Bezug zu dem verstorbenen Betroffenen, dem betreffenden Missbrauchsvorwurf oder der Missbrauchstat haben. Dritte sind insbesondere Ehepartnerinnen und Ehepartner, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner nach Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) oder in lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebende Lebensgefährtinnen und Lebensgefährten, Kinder, Eltern und Geschwister.« Dieser Personenkreis hat nur insofern ein Einsichts- und Auskunftsrecht, als dass sie die Informationen »zur Verfolgung eines noch nicht verjährten geerbten Schmerzensgeldanspruchs oder zur Abwehr einer Beeinträchtigung des postmortalen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen« benötigen – ein privates Aufarbeitungsinteresse im Familienkreis genügt also nicht.
Auf Wunsch von Betroffenen kann die Auskunft durch Notar*innen (nicht aber durch Rechtsanwält*innen) erteilt werden, die Einsicht in nicht anonymisierte oder pseudonymisierte Akten erhalten und darüber unter Wahrung des Datenschutzes berichten dürfen.
Welche Sachakten sind erfasst?
Das Einsichts- und Auskunftsrecht beschränkt sich auf »Unterlagen von Sachakten, die einen Bezug zu dem sie betreffenden Missbrauchsvorwurf oder der Missbrauchstat haben«, es folgt eine nicht abschließende Aufzählung: Verfahrensakten von Interventionsbeauftragten und vergleichbare Aktenbestände der laufenden Schriftgutverwaltung sowie Bestände im bischöflichen Geheimarchiv. (Dazu hat das Bistum ein eigenes Allgemeines Dekret über die Verwaltung des Geheimarchivs erlassen, das bei katholisch.de bereits vorgestellt wurde.)
Grenzen der Einsicht und Auskunft
- Daten Dritter mit Ausnahmen der beschuldigten Person dürfen nicht offengelegt werden; der Schutz kann durch Anonymisierung oder Pseudonymisierung erreicht werden – wann eine bloße Pseudonymisierung genügt, gibt die Ordnung nicht her.
- Aufzeichnungen von Unterlagen dürfen grundsätzlich nicht angefertigt werden. Allerdings stellt das Bistum auf Antrag Kopien her und händigt sie aus, »sofern es im Einzelfall rechtlich zulässig ist« – in Verbindung mit dem Recht auf Kopie aus § 17 Abs. 3 KDG dürfte das eher der Regel- als der Ausnahmefall sein.
Richtlinien zum Verfahren zur Akteneinsicht und -auskunft
Die eigentliche Auskunft wird durch Richtlinien zur Regelung des Verfahrens zur Akteneinsicht und Aktenauskunft an Betroffene sexuellen Missbrauchs und Dritte festgelegt, die noch einmal vieles aus der eigentlichen Ordnung wiederholen, aber auch auf andere Normen verweisen, etwa die Personalaktenordnung, die KAVO und die MAVO – das allerdings primär, um auf spezielle Verfahren zu verweisen. Während laufenden Verfahren wird betroffenen Personen nur in Begleitung eines Rechtsbeistands Akteneinsicht gewährt.
Die Richtlinien differenzieren zwischen Akteneinsicht und Aktenauskunft. Unter Akteneinsicht wird der »tatsächliche Einblick in Unterlagen einer Akte« verstanden, Auskunft wird erteilt »durch eine Zusammenfassung des Falles oder eine schriftliche Antwort auf eine konkret gestellte Frage«.
Antragstellung
Anträge müssen grundsätzlich in Textform oder zur Niederschrift über ein Formular erfolgen, Betroffene können davon abweichen. Im Antrag sind die Gründe für die begehrte Einsicht oder Auskunft »möglichst vollständig« sowie Nachweise oder Belege für das berechtigte Interesse darzulegen. Der Antrag wird je nach Art der Akten durch den*die Interventionsbeauftragte oder zuständige Verantwortliche entschieden, eine Ablehnung ist nur möglich, wenn das Justiziariat ebenfalls auf Ablehnung plädiert, bei Dissens entscheidet der Generalvikar. Die Entscheidung wird innerhalb von zwei Monaten schriftlich und begründet mitgeteilt.
Ablauf der Akteneinsicht
Die Akteneinsicht erfolgt immer vor Ort, eine Begleitperson und ein Rechtsbeistand sind als Begleitung zulässig. Die zur Einsicht vorgelegte Kopie wird vorab geschwärzt. Alles, was Dritte betrifft oder nicht den jeweiligen Fall, wird »unkenntlich gemacht« (also bei personenbezogenen Daten anonymisiert, nicht pseudonymisiert), das Justiziariat sichtet die Schwärzungen. Der*die Interventionsbeauftragte ist für die Durchführung des Einsichtstermins zuständig. Vor dem Termin erhält die Person, die Einsicht erhält, einen Leitfaden, der Ablauf und Umfang der Einsicht dokumentiert sowie eine zu unterzeichnende Vertraulichkeitserklärung enthält.
Die Akte darf nur gelesen, nicht aber verändert werden, Kopien sind nur ausnahmsweise zulässig – hier werden auch ausdrücklich datenschutzrechtliche Auskünfte erwähnt: »Auf Antrag der Einsicht nehmenden Person kann das Bistum ausnahmsweise Kopien zur Verfügung stellen, soweit dies – insbesondere nach dem KDG – rechtlich zulässig ist.« Wenn gegen Hinweisen und Regelungen verstoßen wird, wird der Termin abgebrochen, eine erneute Einsichtnahme kann dann abgelehnt werden.
Die Einsicht wird standardisiert dokumentiert.
Ablauf der Aktenauskunft
Die Aktenauskunft geschieht grundsätzlich nach demselben Verfahren wie die Einsicht, jedoch ohne Termin und durch schriftliche Zustellung. Nachdem die Auskunft zusammengestellt ist, erfolgt noch eine »finale Sichtung durch die Stabsstelle Justiziariat«; es bleibt allerdings unklar, wie stark dabei das letztliche Beauskunftete noch redigiert werden kann: Geht es nur darum, die Wahrung der Rechte Dritter sicherzustellen, oder geht es um mehr?
Bei der Auskunft über Notar*innen kann das Bistum die beauftragte Person »bei Vorliegen besonderer Gründe« ablehnen. Ansonsten scheint aber die beauftragte Person relativ freie Hand zu haben – deren Auskunftentwurf wird bis auf die Sichtung nicht noch einmal durch das Bistum überarbeitet.
Fazit
Jede Bewertung muss zunächst vorläufig bleiben, so lange sich nicht Missbrauchsbetroffene und ihre Vertretungen zur Einsichtsordnung geäußert haben.
Die Trierer Ordnung stellt eine Premiere dar: Eine eigene Einsichts- und Auskunftsordnung für Missbrauchsbetroffene und Angehörige gibt es bisher nicht. Isoliert wirkt das Verfahren grundsätzlich angemessen, wenn es auch für Angehörige keinen großen Spielraum gibt, die Ordnung für die individuelle Aufarbeitung zu nutzen. Die Beschränkung auf die Verfolgung von vermögens- und persönlichkeitsrechtlichen Sachverhalten ist doch recht eng. Belastend kann auch sein, dass die Einsicht mit dem Aufwand verbunden ist, vor Ort einen Termin wahrzunehmen. Damit bleibt die Ordnung hinter dem datenschutzrechtlichen Auskunftsrecht zunächst zurück – das ist ein Problem, das bereits beim Akteneinsichtsrecht der UKA besteht.
Dagegen steht ein anderer Aspekt, der eine Verbesserung im Vergleich zum Datenschutzrecht beinhaltet: Erfreulich ist, dass eine Einschränkung der Einsicht und Auskunft aus Gründen des kirchlichen Interesses und zum Schutz des kirchlichen Auftrags nicht ausdrücklich vorgesehen ist. § 17 Abs. 6 lit. a) i.V.m. § 16 Abs. 5 KDG schließt das Auskunftsrecht aus, wenn »die Information dem kirchlichen Wohl Nachteile bereiten würde« – das dürfte bei kirchlichen Amtsträgern belastenden Informationen je nach Auslegung oft der Fall sein. Selbst wenn in solchen Fällen die Auskunft nach KDG verweigert wird, dürfte eine Einsicht oder Auskunft nach der Ordnung noch möglich sein.
Das in Verbindung mit der Auskunftserteilung über Notar*innen, die ungeschwärzte Akten einsehen dürfen, dürfte in der Praxis die Instrumente sein, die die Ordnung zu einem Werkzeug machen, das es zu erwägen gilt – auch wenn das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht grundsätzlich deutlich mächtiger ist. Betroffene sollten genau auf die unterzeichnete Vertraulichkeitserklärung achten, ob sie damit auf datenschutzrechtliche Rechte verzichten – da das KDG durch die Ordnung unberührt bleiben soll, sollte ein solcher Ausschluss nicht zulässig sein.