Fulda stärkt Betroffenenrechte bei der Akteneinsicht zur Aufarbeitung

Das erste Bistum hat seine Regelungen zur Verwendung von Akten zur Missbrauchsaufarbeitung mit Blick auf den Datenschutz überarbeitet. Im aktuellen Amtsblatt des Bistums Fulda wird das im Februar 2022 erstmals promulgierte »Gesetz zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten der Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener« zum zweiten Mal geändert.

Frontalansicht des Fuldaer Doms.
Der Hohe Dom zu Fulda (Bildquelle: Pieter van de Sande auf Unsplash)

Das Gesetz aus Fulda war von Anfang an eigenständig und orientierte sich nicht an der DBK-Musterordnung, die seit einigen Wochen in der Kritik steht. Außer Fulda hat nur noch Speyer den Weg einer eigenständigen Regelung eingeschlagen. Nach der Novelle sind in Fulda die Rechte von Missbrauchsbetroffenen gestärkt, die von Beschuldigten geschwächt.

Auf Anfrage äußerte sich die Pressestelle des Bistums Fulda nur sehr allgemein zu der Novelle. Die seit 2021 arbeitende Aufarbeitungskommission mache zwar fundierte Fortschritte, benötige für ihre Tätigkeit aber weitere belastbare Grundlagen. »Als eine der Grundlagen für die Aufarbeitung hat das Bistum auch aufgrund des Zeitdruckes und Handlungsbedarfes im laufenden Prozess ein eigenes Gesetz über das Einsichts- und Auskunftsrecht auf den Weg gebracht«, so die Pressestelle.

Systematik des Gesetzes

Das Fuldaer Gesetz regelt die Einsicht in Personalakten von Beschuldigten und weiteren Bediensteten sowie in sonstige Akten durch die Aufarbeitungskommission. Die Anforderungen für die Verwendung für die Aufarbeitung sind dabei jeweils unterschiedlich geregelt.

Als Beschuldigte werden gemäß der Begriffsbestimmung (§ 1 Nr. 4) Personen gefasst, bei denen sich aus den Akten oder anderweitigen Tatsachen »mit hinreichender Sicherheit ein Verdacht« ergibt, dass sie Sexualdelikte nach kirchlichem oder staatlichem Recht aus einem explizit aufgezählten Katalog begangen haben oder eine kanonische Voruntersuchung aufgrund der aufgeführten kirchlichen Normen durchgeführt wurde. Die Regelung wurde in einem ersten Änderungsgesetz im März 2023 verschärft: Neben einem weiteren (anscheinend zuvor vergessenen) Straftatbestand (c. 1395 § 3 CIC) wurde das Rückwirkungsverbot für die Beschuldigteneigenschaft aufgehoben: Als »Beschuldigter« gilt seither auch, »wessen in der Vergangenheit nicht strafbares Verhalten heute den Tatbestand einer der vorgenannten und derzeit geltenden Strafnormen erfüllen würde«.

Für Personalakten von Beschuldigten werden höhere Anforderungen gesetzt als in der DBK-Musternorm zur Personalakteneinsicht. So gibt es kein generelles Akteneinsichtsrecht, sondern zunächst nur in die Personalakten der Personen, die im Rahmen der MHG-Studie als Beschuldigte identifiziert wurden (§ 2), die Einsicht in Akten weiterer Kleriker ist an einen begründeten Verdacht geknüpft, der gegebenenfalls aufgrund einer Untersuchung durch Bistumsbedienstete im Auftrag des Bischofs auf Grundlage der Akten festzustellen ist (§ 4).

Sind diese Bedingungen erfüllt, braucht es für die eigentliche Einsicht ein rechtskräftiges Dekret des Bischofs, das auch dem betroffenen Bediensteten mitzuteilen ist (§ 5) – und ihm so auch Widerspruchsmöglichkeiten eröffnet (die nicht im Gesetz geregelt sind, also den üblichen kirchlichen Verwaltungsrechtsweg gehen). Grundsätzlich erhält die Kommission eine durch das Bistum nach mit der Kommission erarbeiteten Kriterien erstellte Zusammenfassung der Akte, auf Verlangen ist auch die Aushändigung von Kopien möglich (§ 6).

Für die Einsicht in Personalakten nicht-beschuldigter Bediensteter braucht es deren Einwilligung (§ 7), anders als in der DBK-Musterordnung, wo für alle Personalakten die gleichen Bedingungen gelten.

Sachakten werden bei Bedarf als Kopie überlassen, ein Verfahren zur Herstellung einer Zusammenfassung gibt es nicht (§ 8).

Novelle der Datenschutzregelungen

Das zweite Änderungsgesetz ändert ausschließlich die Regelungen zum Datenschutz. Aufgehoben werden die Bestimmungen in § 6 Abs. 3 sowie die Absätze 3 und 4 des § 8, § 9 wird dagegen unter der neuen Überschrift »Datenschutz« deutlich umfangreicher gefasst. Dort tauchen die aufgehobenen Regeln teils modifiziert wieder auf.

Bisherige Rechtslage

Vor der Novelle waren die einschlägigen Regelungen zum Datenschutz auf mehrere Paragraphen verteilt: bei der Regelung der Art der Akteneinsicht (§ 6 Abs. 3), der Einsicht in Sachakten (§ 8 Abss. 3f.) und mit Blick auf Aufbewahrung (§ 9), Verschwiegenheit (§ 10) und Veröffentlichungen (§ 11).

Für die Akteneinsicht in Personalakten (§ 6 Abs. 3) waren zuvor in den Zusammenfassungen und Kopien die Identitäten von Missbrauchsbetroffenen zu »pseudonymisieren« (also keine Anonymisierung) und »Hinweise, die eindeutige Rückschlüsse auf ihre Identität ermöglichen würden, zu schwärzen oder anderweitig unkenntlich zu machen«. Bei den Sachakten (§ 8 Abss. 3f.) waren besonders schutzwürdige Daten zu »anonymisieren«, jedoch nicht dann, wenn sich diese Daten auf Beschuldigte beziehen und ein bischöfliches Dekret zur Akteneinsicht vorliegt.

Neue Rechtslage

Die Akteneinsicht in Beschuldigten-Personalakten bleibt grundsätzlich gleich und findet sich nun in § 9 Abs. 1 S. 1. Diese Regelung erfasst nun alle Aktenarten, also auch die Sachakten und Personalakten Nicht-Beschuldigter. Waren zuvor bei den Sachakten alle Daten zu beliebigen Personen geschützt mit der Einschränkung der Beschuldigten nach Dekret, erfasst die neue Regelung nur noch die Daten von Missbrauchsbetroffenen, andere personenbezogene Daten scheinen nicht mehr unkenntlich zu machen zu sein.

Neu ist ein Passus, der für Missbrauchsbetroffene einen weiteren Schutzmechanismus ergänzt über die Anonymisierungspflicht bei der Möglichkeit eindeutiger Rückschlüsse auf die Identität: »Besteht nach dem Urteil der Interventionsbeauftragten der Diözese oder aufgrund eines ausdrücklichen Wunsches eines Betroffenen ein erhöhter Schutzbedarf, gilt dies auch für alle Daten, die Rückschlüsse auf die Identität eines Betroffenen erleichtern würden.« Im Gesetz nicht geregelt ist, ob die Interventionsbeauftragten und Missbrauchsbetroffene mit dieser Regelung vor jeder Einsicht anzuhören sind oder auf welche Weise sie sonst einen erhöhten Schutzbedarf anmelden können. Unklar ist auch, wie niedrig die Schwelle der »Erleichterung« der Identifikation ist – ist das eine niedrigere Schwelle als die »Personenbeziehbarkeit«, die schon die Zuständigkeit des Datenschutzrechts eröffnet?

Gewährt die Kommission Akteneinsicht auf Wunsch eines Missbrauchsbetroffenen in die diese Person betreffenden Unterlagen, sind »besonders schutzwürdige personenbezogene Daten« in der Kopie unkenntlich zu machen, sofern es sich nicht um Daten von Beschuldigten handelt, für die es ein bischöfliches Dekret gibt (§ 9 Abs. 2). Zuvor war nur das Einsichtsrecht von Betroffenen geregelt, nicht die dabei anzulegenden Datenschutzmaßstäbe (§ 10 Abs. 2).

Für die Veröffentlichung in Berichten der Kommission wird neu geregelt, dass sie keine »besonders schutzwürdigen personenbezogenen Daten« enthalten dürfen (§ 9 Abs. 3), unberührt bleibt davon die Ermächtigung zur Veröffentlichung von Namen und eindeutigen Hinweisen zur Identität von Personen der Zeitgeschichte (§ 11 Abs. 2).

Durchweg wird die Formulierung »besonders schutzwürdige Daten« verwendet – eine Legaldefinition fehlt allerdings. Trotz des Anklangs an die besonderen Kategorien personenbezogener Daten dürfte der unbestimmte Rechtsbegriff der besonders schutzwürdigen Daten wohl nicht völlig deckungsgleich damit sein, auch wenn Daten zum Sexualleben (und damit auch Tathergänge von Missbrauchshandlungen) dazu gehören.

Fazit

Auch das novellierte Fuldaer Gesetz zur Akteneinsicht für die Missbrauchsaufarbeitung bleibt noch hinter den Forderungen der Betroffenenbeiräte zurück, die grundsätzlich eine Einwilligung zur Verwendung fordern. Betroffenendaten können in Fulda weiterhin ohne Einwilligung von der Aufarbeitungskommission verwendet werden. Im Vergleich zur DBK-Musternorm ist das Schutzniveau in Fulda aber wohl zumindest in einem Punkt höher, dem neuen Passus zur Feststellung besonderer Schutzbedürftigkeit durch Interventionsbeauftragte und Betroffene – auch wenn die genauen Modalitäten dafür aus dem Gesetz nicht hervorgehen und wie eine »Erleichterung« der Identifikation über die Identifizierbarkeit des Datenschutzrechts hinausgeht. Diese Regelung liest sich wie eine direkte Reaktion auf die Weitergabe aus Sicht der Datenschutzaufsicht nicht genügend anonymisierter Daten in Münster: Dort wurde bereits der Tathergang in einer ansonsten anonymisierten Akte als personenbezogenes Datum eingestuft, es liegt nahe, die »Erleichterung« der Identifikation mit Blick auf diesen Vorgang auszulegen.

Bemerkenswert ist die Auseinanderentwicklung beim Schutzniveau für Beschuldigte und Betroffene: Grundsätzlich haben Beschuldigte zwar durch den Weg über ein bischöfliches Dekret im jeweiligen Einzelfall eine bessere Rechtsposition als bei einer pauschalen Ermächtigung zur Einsicht. Im Laufe der Überarbeitung wurde die Stellung von Beschuldigten aber immer schlechter: Die Einstufung auch aufgrund von früher nicht pönalisiertem Verhalten wirft Fragen zum Rückwirkungsverbot und zum kanonischen Ehrenschutz (c. 220 CIC) auf, Daten von Beschuldigten genießen teilweise so wenig Schutz, dass die Frage berechtigt scheint, ob dieses bischöfliche Gesetz nicht das Schutzniveau des KDG unterschreitet und somit die höheren Standards des KDGs anzuwenden wären. Für Missbrauchsbetroffene dagegen hat sich der Schutz deutlich verbessert, auch wenn eine nähere Bestimmung »besonders schutzwürdiger personenbezogener Daten« der Rechtssicherheit helfen würden.

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