Datenschutzverstoß im Bistum Münster durch Akteneinsicht für Missbrauchsstudie

Akten sind zentral für die Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche: Personalakten, Sachakten, historische Bestände und aktuelle Unterlagen aus dem Verfahren zur Anerkennung des Leids, mit dem in der katholischen Kirche Zahlungen von Betroffenen organisiert sind. Diese Akten enthalten notwendig besonders sensible Daten, auch dann, wenn einzelne Bestände nicht unter die besonderen Kategorien personenbezogener Daten fallen.

Die Türme des Münsteraner Paulusdoms
Die Türme des Münsteraner Paulusdoms (Bildquelle: Dietmar Rabich, CC BY-SA 4.0, Link, zugeschnitten)

Datenschutzrechtlich ist daher eigentlich klar: Es braucht eine Rechtsgrundlage. Das Bistum Münster wurde nun auf eine Beschwerde einer betroffenen Person hin vom zuständigen KDSZ Dortmund gerügt – für die Weitergabe von (nicht genug) anonymisierten Akten an die unabhängige Forschergruppe, die die Missbrauchsstudie für das Bistum angefertigt hat, fehlte es an einer Rechtsgrundlage.

Der Fall

Die Diözese informierte am Mittwoch über den Vorgang. Der diözesane Interventionsbeauftragte Peter Frings erläuterte, was vorgefallen war: »Für die Erstellung der Studie über den sexuellen Missbrauch im Bistum Münster hat die Interventionsstelle den Wissenschaftlern die entsprechenden Akten – auch die zur Anerkennung des Leids – in den Räumen des Bistums zugänglich gemacht. Wir haben zuvor selbstverständlich in den Akten die personenbezogenen Daten der betroffenen Personen wie Name, Anschrift, Kontodaten und alle sonstigen personenbezogenen Hinweise geschwärzt. Nach Einschätzung des KDSZ hätten aber auch die Schilderungen der vom sexuellen Missbrauch betroffenen Person insoweit geschwärzt werden müssen, ›dass keine individuellen Schilderungen um die eigentlichen Taten in den Akten zu finden gewesen wären‹.« Es geht also im Kern um die Frage, wie anonym eine solche Anonymisierung ist. Auch wenn der Bescheid der Aufsicht nicht bekannt ist, scheint für sie (nachvollziehbar) die Schilderung eines konkreten Tathergangs personenbeziehbar zu sein, so dass damit der Anwendungsbereich des Datenschutzes eröffnet ist.

Besondere Brisanz hat der Fall, weil die betroffene Person durch Medienberichte über die im Juni 2023 veröffentlichte Studie retraumatisiert wurde. »Das bedauern wir, und wir haben uns sofort nach Eingang des Bescheids des KDSZ mit der betroffenen Person in Verbindung gesetzt«, so Frings. Der Interventionsbeauftragte sieht ein Dilemma zwischen Aufarbeitung und Datenschutz. Eine umfassendere Schwärzung, wie sie das KDSZ für notwendig hält, hätte dazu geführt, »dass die Wissenschaftler den sexuellen Missbrauch im Bistum Münster nicht so gründlich hätten aufarbeiten können«. Wenn das, was das KDSZ formuliere, der Maßstab oder der datenschutzrechtliche Rahmen für Aufarbeitung sei, werde der Kirche schnell wieder Vertuschung vorgeworfen werden.

Noch ist nicht entschieden, ob das Bistum gegen den Bescheid – der laut Frings ohne weitere Anordnungen ergangen ist – den Rechtsweg beschreiten wird. Schon jetzt ist bekannt, dass das KDSZ Dortmund auch die NRW-Landesdatenschutzbeauftragte informiert hat, in deren Zuständigkeit die Universität Münster fällt.

Welche Rechtsgrundlagen?

Die Pressemitteilung erläutert den Prozess, wie es zur Entscheidung zur Datenweitergabe gekommen ist, nennt aber keine konkrete Rechtsgrundlage. Das Vorgehen sei im Beirat des Forschungsprojektes intensiv beraten worden: »Im Sinne einer größtmöglichen Transparenz hätten sich die Wissenschaftler und das Bistum nach den Beratungen im Beirat für das Vorgehen, das nun vom KDSZ als Datenschutzverletzung eingeschätzt wird, ausgesprochen.« Das Einholen von Einwilligungen wurde als »nicht zielführend« verworfen. Außerdem habe es die Befürchtung gegeben, auch ein solches Vorgehen könne retraumatisierend sein.

Bei der Verwendung von aus anderen Gründen angefertigten Bestandsakten für die Aufarbeitung dürfte es sich um eine Zweckänderung mit anschließender Offenlegung gegenüber einer öffentlichen Stelle handeln. Hier gibt es auch eine Erlaubnisnorm, die passen könnte. Eine Zweckänderung ist ohne Einwilligung zulässig, wenn »es zur Durchführung wissenschaftlicher Forschung erforderlich ist, das wissenschaftliche Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens das Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der Zweckänderung erheblich überwiegt und der Zweck der Forschung auf andere Weise nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erreicht werden kann« (§ 6 Abs. 2 lit. i KDG), Abs. 6 regelt die Zweckänderung bei besonderen Kategorien. Für die Verarbeitung selbst bleibt mangels gesetzlicher Grundlage und Einwilligung wohl nur die Aufgabenwahrnehmung im kirchlichen Interesse übrig – eine notorisch unbestimmte Rechtsgrundlage. Eine Offenlegung gegenüber öffentlichen Stellen (wie der Universität Münster) ist gemäß § 9 Abs. 5 KDG zulässig. Anscheinend hat das KDSZ Dortmund die widerstreitenden Interessen zugunsten der betroffenen Person abgewogen – das ist naheliegend, liegt schließlich eine Beschwerde anlässlich einer Retraumatisierung vor.

Anders als das DSG-EKD kennt das KDG keine allgemeine Aufarbeitungsnorm. Das Münsteraner Vorgehen wäre mit einer Regelung vergleichbar mit § 50a DSG-EKD wohl ohne rechtliche Probleme abbildbar gewesen. Im katholischen Rechtskreis gibt es Normen zur Datenweitergabe für die Ausarbeitung nicht überall: Mindestens 20 Bistümer haben seit vergangenem Jahr Ordnungen zur Einsicht in Personalakten, mindestens fünf seit diesem Jahr auch Ordnungen zur Einsicht in Sachakten. Das Bistum Münster hat keine davon. Für katholisch.de begründete mir der Interventionsbeauftragte, dass diese Regelungen bisher nicht in Kraft gesetzt wurden angesichts des »völlig anderen Weges, den das Bistum Münster bei der Aufarbeitung gehen will«, da die Musternormen nach Auffassung des Bistums »so nicht uneingeschränkt die notwendigen Regelungen umfassen«.

Fazit

Der Vorgang zeigt die Notwendigkeit einer klaren rechtlichen Regelung von Aufarbeitungsprozessen. Der Datenschutzverstoß hätte durch das Bistum recht einfach verhindert werden können, wenn der Bischof ein Gesetz mit einer einschlägigen Rechtsgrundlage erlassen hätte. Mit den Musternormen für Auskunft und Einsicht bei Personal- und Sachakten gibt es auch bereits Vorlagen, die für Sachakten in einer Handvoll und für Personalakten in den meisten Bistümern im Einsatz sind. Nicht alle Bischöfe haben die auf Ebene der Bischofskonferenz entstandene Musternorm eins zu eins umgesetzt, es gibt auch sehr eigenständige Lösungen: Das hätte auch Münster offengestanden.

Über die Missbrauchsaufarbeitung hat die Position, dass eine Anonymisierung nicht genügt, wenn ein hinreichend genauer Hergang beschrieben wird, Konsequenzen für die Kirche: Bisher werden bisweilen Urteile kirchlicher Ehegerichte ähnlich anonymisiert wie die Akten zur Aufarbeitung veröffentlicht, jüngst etwa in der neuen Zeitschrift für Kanonisches Recht – die eigene gescheiterte Ehe in intimen Details so in der Öffentlichkeit zu haben, ist sicher kein Vergnügen. Auch die Entscheidungen der Datenschutzgerichte enthalten oft höchstpersönliche Lebenssachverhalte, etwa bei Streitigkeiten im Kontext von Sorgerecht. Für die Rechtsfortbildung sind solche Urteilsveröffentlichungen zentral – aber eine explizite Rechtsgrundlage haben sie nicht.

Es wäre verständlich, wenn das Bistum Münster auf eine Klage verzichtet, um nicht weitere Belastungen für die betroffene Person zu erzeugen. Bei Klagen gegen die Datenschutzaufsicht kann das Gericht betroffene Personen (im datenschutzrechtlichen Sinn) am Verfahren beteiligen; nach meiner Kenntnis ist das auch bereits in mindestens einem anderen Fall von Amts wegen geschehen, ebenfalls im Kontext von Missbrauchsaufarbeitung. Eine formelle Verfahrensbeteiligung dürfte sehr belastend, mindestens aber aufwendig sein. Es spricht aus Gründen des Betroffenenschutzes also viel gegen eine Klage. Eine gerichtliche Klärung wäre für rechtssichere Aufarbeitung ebenso wie für die Grenzen der Transparenz der kirchlichen Rechtsprechung aber sehr hilfreich – auch das ist ein Dilemma.

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