Betroffenenbeiräte untermauern Kritik an Muster-Einsichtsordnung

Der Arbeitskreis der Betroffenenbeiräte und -vertretungen bei den deutschen Diözesen hat (über die Betroffeneninitiative Ost) eine ausführliche Stellungnahme zur Musterordnung zur Akteneinsicht und -auskunft veröffentlicht. Die Stellungnahme reagiert auf eine darin erwähnte Position der KDSA Ost, die anscheinend ein überwiegendes erhebliches kirchliches Interesse an der Verwendung aller Betroffenendaten für die Aufarbeitung von Missbrauch bejaht. Dagegen wenden sich die Betroffenenbeiräte – erneut – deutlich. Angeführt werden sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden: Der vorhandene Datenbestand zu Missbrauch sei schon hinreichend groß, um nicht jeden bekannten Fall in Analysen einzubeziehen.

Bücher und Akten, chaotisch in einem Regal
Photo by JF Martin on Unsplash

Neues Aktenmaterial entsteht nach Einschätzung der Betroffenenbeiräte durch die Aufnahme neuer Fälle durch die Ansprechpersonen der Bistümer, der Plausibilitätsprüfung im Anerkennungsverfahren, dem anschließenden Antrag auf Anerkennungsleistungen und schließlich durch die Aufarbeitungskommissionen. Detailliert wird geschildert, wie umfangreich und belastend die für das Anerkennungsverfahren benötigten Angaben sind, und dass teilweise Festlegungen zum Umgang mit den Daten fehlen. Daher stellt die Stellungnahme an den kirchlichen Datenschutz die Fragen, wie eine sachgerechte und sichere Verwahrung und Archivierung der anfallenden Unterlagen gesichert werden kann, und ob es wirklich einer Nutzung aller Akten auch ohne Einwilligung der Betroffenen zur Aufarbeitung braucht.

Seit der Etablierung des Anerkennungsverfahrens werde die retraumatisierende Wirkung der Plausibilitätsprüfung beklagt. »Sollte sich herausstellen, dass dieses Verfahren letztlich dem „erheblich überwiegenden kirchlichen Interesse“ dienen soll, die unter einem Vorwand gewonnenen Unterlagen der Forschung zur Verfügung zu stellen, um eigene Strukturen besser aufklären zu können, so bezeichnen wir dies als respektlos und zynisch.« Die Betroffenenbeiräte stellen in Aussicht, künftig Betroffenen davon abzuraten, ihre Daten der Kirche zur Verfügung zu stellen, sollte sich der Umgang damit nicht ändern.

Unterdessen hat seit Beginn der Debatte der erste Bischof die Musternorm für sein Bistum promulgiert, wobei das Gesetz am 14. Juni und damit vor dem Öffentlichwerden der Kritik des Betroffenenbeirats Ost unterzeichnet wurde. Die Passauer Einsichtsnormen übernehmen die Kriterien der Musternorm und sehen somit keine Einwilligung der Betroffenen vor.

Fazit

Die Debatte um die richtige und angemessene Form der Datenverwendung zur Missbrauchsaufarbeitung geht weiter. Bisher hat die DBK, die für die Mustereinsichtsnorm Verantwortung trägt, im wesentlichen mit einer Eingangsbestätigung reagiert: Änderungen seien erst einmal nicht geplant, die zuständigen Fachgremien sollen aber mit den Fragen befasst werden. Bistümer haben sich noch gar nicht geäußert und verweisen auf Anfrage an die DBK.

Auch ohne eine explizite Änderung der Musternorm bietet die fundierte Argumentation der Betroffenenbeiräte zur sozialwissenschaftlichen Arbeitsweise möglicherweise einen Ausweg: Fokussiert wird momentan auf die Frage der Einwilligung sowie auf die Interessensabwägung. Um auf eine Einwilligung verzichten zu können, müssen aber drei Tatbestände erfüllt sein: Über die Abwägung zwischen überwiegendem kirchlichen Interesse an der Aufarbeitung und den schutzwürdigen Interessen von Betroffenen braucht es eine Erforderlichkeit für die Aufarbeitung und die Unmöglichkeit der Nutzung anonymisierter Daten.

Mit Verweis auf die sozialwissenschaftlichen Standards sollte aber vor allem der im Gesetz erstgenannte Punkt in den Blick rücken: Die Argumentation der Betroffenenbeiräte argumentiert recht schlüssig, warum eine Erforderlichkeit oft gar nicht vorliegt – und damit die Nutzung ohne Einwilligung nicht zulässig ist: »Der Arbeitskreis hält die vorhandenen, in allen bisher vorgelegten, auch internationalen Studien bestätigten Theorien über institutionelle Ermöglichungsfaktoren von Missbrauch und Vertuschung in der katholischen Kirche für hinreichend gesättigt, um nicht jeden weiteren bekannten Fall einer umfassenden Analyse zuführen zu müssen.«

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert