Betroffenenbeiräte fordern Einwilligung für Offenlegung zur Aufarbeitung

Nach dem Betroffenenbeirat Ost äußert auch der Arbeitskreis der Betroffenenbeiräte und -vertretungen massive Kritik an der »Musterordnung zur Regelung von Einsichts- und Auskunftsrechten« zur Missbrauchsaufarbeitung. In einer Stellungnahme vom Samstag widerspricht der Arbeitskreis der Umsetzung: »Der Arbeitskreis bestreitet, dass das öffentliche Interesse an Aufarbeitung das berechtigte Interesse von Missbrauch betroffener Personen am Schutz ihrer sensiblen personenbezogenen Daten überwiegt.«

Ein hoher Stapel Akten liegt auf einem Tisch
(Bildquelle: Wesley Tingey on Unsplash)

In seiner Stellungnahme zitiert der Arbeitskreis auch eine bisher nicht bekannte Erläuterung des Berliner Erzbischofs Heiner Koch vom 6. Juli, die er dem Betroffenenbeirat Ost mitgeteilt hatte. Aus der Ausschnitt geht hervor, dass es bei der Ausarbeitung der Musterordnung zwar eine umfangreiche Beteiligungsphase gab, bei der unter anderem Aufarbeitungskommissionen beteiligt, aber ausgerechnet die Betroffenenbeiräte der Diözesen und bei der Deutschen Bischofskonferenz ausgelassen wurden.

Kritik an der Musterordnung

Die Musterordnung (veröffentlicht im Amtsblatt des Bistums Magdeburg) sieht im jeweils ersten Absatz der §§ 4, 5 und 6 vor, dass personenbezogene Daten durch Auskunft oder Einsicht gegenüber unabhängigen Aufarbeitungskommissionen, zu Forschungszwecken und gegenüber Rechtsanwaltskanzleien unter Bedingungen auch ohne Einwilligung der betroffenen Personen, weitergegeben werden dürfen. Die Bedingungen sind die Erforderlichkeit für den jeweiligen Zweck, die Unmöglichkeit oder Unverhältnismäßigkeit der Nutzung anonymisierter Daten und ein kirchliches Interesse, das die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen erheblich überwiegt. Bei der Auskunft und Einsicht für Forschung und Kanzleien ist zudem die Einwilligung des Diözesanbischofs oder einer von ihm benannten Person erforderlich. Zum Verständnis der Norm ist eine Unterscheidung wichtig: »Betroffene Person« wird in der Musterordnung im datenschutzrechtlichen Sinn verwendet und erfasst damit nicht nur von Missbrauch betroffene Personen, sondern alle Menschen, deren Daten verarbeitet werden – also auch Beschuldigte und Täter. Bisher haben mindestens fünf Bistümer die Musterordnung in Kraft gesetzt.

Die Musterordnung schafft eine neue Rechtsgrundlage für die Weitergabe: Wäre sie ohne eine Rechtsnorm nur mit einer Einwilligung zulässig (§ 6 Abs. 1 lit. b) sowie für besondere Kategorien § 11 Abs. 2 lit. a) KDG), liegt mit ihr eine Erlaubnis durch eine andere kirchliche Rechtsvorschrift vor (§ 6 Abs. 1 lit. a) KDG sowie § 11 Abs. 2 g) KDG). Die Formulierung der Musternorm lehnt sich jedenfalls erkennbar an den Ansprüchen aus § 11 Abs. 2 lit. g) KDG für die Zulässigkeit von rechtlichen Regelungen zur Verarbeitung besonderer Kategorien an.

Gegen die Einsicht ohne Einwilligung wendet sich nun der Arbeitskreis der Betroffenenbeiräte: »Die Offenlegung personenbezogener Daten durch Auskunft oder Einsicht in Unterlagen ohne Einwilligung der betroffenen Personen, soweit diese Personen Betroffene sexuellen Missbrauch sind, ist aus Sicht des Arbeitskreises unzulässig.« Es fordert, zwingend die Zustimmung der Betroffenen zur Offenlegung ihrer personenbezogenen Daten einzuholen. »Von dieser Regelung akzeptieren wir keine Ausnahme«, so die Stellungnahme weiter. Die Musterordnung missachte die Rechte der von Missbrauch Betroffenen und sei damit nicht an den Rechten und Interessen der Betroffenen orientiert: »Nicht gewährter Schutz sensibler personenbezogener Daten Betroffener sexuellen Missbrauchs lässt befürchten, dass weiterhin Betroffene vor einer Meldung des Missbrauchs an die Kirche eher zurückschrecken werden.« Der Arbeitskreis unterstütze Aufarbeitung und Forschung, jedoch immer unter Beteiligung der Betroffenen und dem Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte.

Auf Anfrage erläuterte Sabine Otto, die stellvertretende Sprecherin des Arbeitskreises, das Anliegen. Ein wichtiger Aspekt war der Streit um die Weitergabe von Daten aus dem Verfahren zur Anerkennung erlittenen Leids an die Arbeitsgruppe der Universität Münster, die zu einer Beanstandung der Datenschutzaufsicht führte: »Das ist aus unserer Sicht massiv befremdlich und übergriffig.« Argumentiert wurde dabei mit der Gefahr einer Retraumatisierung durch die nachträgliche Einholung von Einwilligungen. Otto findet das absurd: »Immerhin haben diese Betroffenen in den letzten zweieinhalb Jahren, also in jüngster Zeit, in intensivem Austausch mit dem Bistum gestanden, und zwar direkt zu ihrem Missbrauchsfall. Warum sollte dann eine Frage über die Verwendung der Dokumente und Angaben nicht verantwortbar sein, nachdem man es ja gerade für verantwortbar hielt, ebendiese Dokumente und Angaben von den Betroffenen zu fordern?« Es gehe bei der Stellungnahme nicht darum, die Offenlegung zu verhindern: »Wir fordern lediglich, den jeweiligen Betroffenen um Einwilligung zu ersuchen. Das kann dann sicherlich erfordern, dem Betroffenen den Zweck der Offenlegung erläutern zu müssen. Das sollte aber selbstverständlich sein.«

Änderungsvorschlag: mit statt ohne Einwilligung

Für die konkrete Umsetzung schlägt der Arbeitskreis eine kleine, aber folgenreiche Änderung vor: In den drei Erlaubnisnormen in Abs. 1 der §§ 4, 5, 6 Musterordnung soll »ohne Einwilligung« durch »mit Einwilligung« ersetzt werden. Damit wäre jegliche Weitergabe, auch die Weitergabe von Daten von Beschuldigten und Tätern, einwilligungspflichtig. Der Betroffenenbeirat Ost hatte in seiner Stellungnahme, in der noch keine konkrete Textänderung vorgeschlagen wurde, explizit darauf hingewiesen, dass die Argumentation nicht für die personenbezogenen Daten von Tätern gelte – zum Schutz von personenbezogenen Daten von Beschuldigten wollte sich der Betroffenenbeirat nicht äußern.

Fazit

Die Forderungen des Arbeitskreises sind nachvollziehbar: Wer, wenn nicht Betroffene von Missbrauch, braucht das Datenschutzrecht zum Schutz und zur Verteidigung seiner Grundrechte? Rein rechtlich ist die Musterordnung nur schwer zu beanstanden; die Schaffung kirchlicher Gesetze zur Erlaubnis von Datenverarbeitungen ist explizit im KDG vorgesehen. Das hat Grenzen – etwa europarechtlich, wenn durch solche Gesetze der Einklang mit dem Wertmaßstab der DSGVO verloren geht, und möglicherweise auch kirchenrechtlich, falls die kirchliche Erlaubnisnorm das Datenschutzniveau des KDG unterschreiten (§ 2 Abs. 2 KDG) – die Prüfung dieser beiden Möglichkeiten fand bislang aber nicht durch die zuständigen Gerichte statt, so dass Maßstäbe fehlen. Zu hinterfragen wäre vor allem, ob mit Blick auf die besonderen Kategorien ein angemessenes Verhältnis zu dem verfolgten Ziel besteht.

Unabhängig von der rein rechtlichen Bewertung: Die Argumente für den Protest sind gut nachzuvollziehen; hier täte der kirchliche Gesetzgeber gut daran, noch nachzubessern und damit gegebenenfalls auch ohne Anerkennung einer Rechtspflicht die Betroffenenvertretungen zu hören. Ob die vom Arbeitskreis vorgeschlagene Formulierung der Weisheit letzter Schluss ist, sei dahingestellt – über die pauschale Formulierung auch Beschuldigten und Tätern ein Veto einzuräumen, ist datenschutzrechtlich möglicherweise geboten, mit Blick auf die Aufarbeitung aber wohl nicht allzu zielführend. Eine Formulierung, die explizit nur von Missbrauchsbetroffenen die Einwilligung fordert, ließe sich sicherlich leicht finden.

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