KDSGO kommentiert – Rezension Reichold/Ritter/Gohm

Die Kirchliche Datenschutzgerichtsordnung ist bislang nur sehr knapp kommentiert. In Sydows KDG-Kommentar findet sich eine kaum zehnseitige von Ulrich Rhode besorgte Einführung, die zudem noch auf recht wenig Entscheidungen der kirchlichen Datenschutzgerichte zurückgreifen konnte. Diese Lücke schließt nun der neue Kommentar von Hermann Reichold, Thomas Ritter und Christian GohmAffiliate link, der die KDSGO neben der Mitarbeitervertretungsordnung und der Kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung kommentiert.

Der Kommentar zu MAVO, KAGO und KDSGO von Reichold/Ritter/Gohm steht in einem Bücherregal
Reichold/Ritter/Gohm: MAVO, KAVO, KDSGO


Die Zusammenstellung wirkt auf den ersten Blick etwas wunderlich, vor allem das Nebeneinander von KAGO- und KDSGO-Kommentar ist allerdings hilfreich, und beschweren sollte man sich ohnehin nicht, wenn diese wichtige Materie Huckepack mitkommentiert wird, wo es wohl für einen Stand-alone-Kommentar nur einen zu kleinen Markt geben würde. Trotz Kinderkrankheiten: Der erste ausführliche KDSGO-Kommentar schließt eine große Lücke.

Autor*innen

Die meisten Normen kommentiert der weltliche Jurist Thomas Ritter, gefolgt von dem Kirchenrechtler Stefan Korta. Die Bonner Kirchenrechtsprofessorin Judith Hahn ist für die Besprechung der Präambel zuständig. Dass so stark auf kirchenrechtlich versierte Autor*innen zurückgegriffen wird, ist ein Gewinn: Das sorgt regelmäßig für den Blick auf relevantes kirchliches Recht, vor allem Prozessrecht, etwa wenn auf offene Fragen zum Erfordernis von »moralischer Gewissheit« von Richter*innen für den Urteilsspruch verwiesen wird oder der Kirchenaustritt von Richter*innen problematisiert wird. (Korta kommt zu dem Schluss, dass aufgrund des Gebots der engen Auslegung ein Kirchenaustritt nach staatlichem Recht das Erfordernis der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche nicht berührt.)

Im Autor*innenverzeichnis wird leider nur die akademische oder hauptberufliche Verortung erwähnt; dass etwa Korta Richter am IDSG war und Hahn Richterin am Kirchlichen Arbeitsgerichtshof ist, hätte man erwähnen können.

Aufbau

Auf eine allgemeine Einleitung folgt eine paragraphenweise Kommentierung der KDSGO. Der Aufbau ist grundsätzlich immer gleich: Normtext, Inhaltsverzeichnis, Kommentierung, bisweilen mit einem Überblick zur Einführung. Leider wird bei der KDSGO nicht wie bei der KAGO standardmäßig auf parallele Normen in einem eigenen Abschnitt verwiesen. Ein Verzeichnis, das Normen nach Bearbeiter*innen aufführt, gibt es nicht.

Bisweilen kommt es zu deutlichen Doppelungen, selbst bei Normen, die vom selben Autor kommentiert wurden, so etwa bei der Ernennung von Richter*innen in § 1 und § 6 durch Korta oder zu den Verfahrensbeteiligten in § 2 und § 7 durch Ritter. Teilweise doppelt kommentiert werden auch die Regelungen für die erste und die zweite Instanz, ohne dass ersichtlich wäre, dass eine je Instanz unterschiedliche Kommentierung erforderlich wäre. Dabei wird nicht immer systematisch doppelt kommentiert. Das führt auch dazu, dass man zu manchen Fragen suchen muss: Will man wissen, ob Prozessbevollmächtigte und Beistände katholisch sein müssen, wird man bei § 7 nicht fündig, wohl aber bei § 17, Rn. 8, obwohl § 17 Abs. 2 nur auf § 7 verweist. (Ritter zieht aus der Nichterwähnung des Zugehörigkeitserfordernisses bei Beiständen und Bevollmächtigten den Umkehrschluss aus der erforderlichen Kirchenzugehörigkeit der Richter*innen: Bevollmächtigte und Beistände müssen demnach nicht katholisch sein.)

Etwas anstrengend ist der Verzicht auf Fußnoten. Stattdessen gibt es Vollzitate in Klammern, was gerade bei der Zitation von Zeitschriftenartikeln den Lesefluss durch bis zu dreizeilige Nachweise stört; uneinheitlich werden Folgezitate gleicher Werke manchmal durch wiederholte Voll- oder folgende Kurzzitate vorgenommen.

Einzelne Aspekte

Quellen und kanonistische Querverweise

Durchweg fällt der umfangreiche Verweis auf das (übersichtliche) Schrifttum und die (erstaunlich umfangreiche) bisherige Rechtsprechung der kirchlichen Datenschutzgerichte auf. Nachdem gerade die ersten DSGVO-Kommentare (notgedrungen) etwas meinungslastig und wenig rechtsprechungsgesättigt waren, freut es umso mehr, dass der erste ausführliche KDSGO-Kommentar die Entscheidungen der kirchlichen Datenschutzgerichte umfangreich einbeziehen kann und es auch tut.

Bei der verwendeten Literatur fällt auf, dass außer dem hier bereits besprochenen Aufsatz von Matthias Ambros recht wenig mit genuin kanonistischer Zielsetzung zum kirchlichen Datenschutzrecht erschienen ist. Ambros kann damit mit seinem Ansatz, das kanonische Prozessrecht in Beziehung zur KDSGO zu setzen, einen großen Eindruck hinterlassen. Leider wird nicht grundsätzlich erörtert, welche Normen des kanonischen Prozessrechts bei fehlender expliziter Regelung in der KDSGO wie direkt oder analog anwendbar sind und welche nicht – ein mögliches Kirchenzugehörigkeitserfordernis von Bevollmächtigten und Beiständen, das Ritter ablehnt, wird beispielsweise nicht mit Blick auf c. 1483 CIC diskutiert.

Multiple Rechtsordnungen

Das kirchliche Datenschutzrecht wurzelt im Europarecht und im kanonischen Recht. Das wird an verschiedenen Stellen thematisiert. Hahn kritisiert in ihrer Kommentierung der Präambel, dass sie sehr dünn und funktional »ohne jegliche feierliche Rahmung« ausfällt, gerade im Vergleich zur (ebenso von ihr kommentierten) Präambel der KAGO, die als Zielsetzung unter anderem die kirchliche Glaubwürdigkeit nennt. Das zeige, »dass das [sic!] KDSGO der kirchlichen Not geschuldet ist, rechtlich-konstruktiv auf europäische Vorgaben zu reagieren, und sich keiner kirchlichen Eigeninitiative verdankt«. Für eine Revision schlägt sie vor, neben dem Verweis aufs Europarecht auch eine Verankerung im Datenschutzkanon c. 220 CIC vorzunehmen.

Ritter zeigt sehr überzeugend, wie sich die Einflüsse verschiedener Rechtsordnungen auf die Auslegung auswirken: »Bei der Anwendung des Datenschutzrechts der katholischen Kirche besteht somit eine Wertordnungsvielfalt dahingehend, dass im Rahmen der Auslegung und Interpretation der jeweils anzuwendenden Norm und bei der Herstellung praktischer Konkordanz die Werteordnung der GRCh, des GG und des höherrangigen kirchlichen Rechts und insbesondere die in dem von der katholischen Kirche 1983 im Codex Iuris Canonici (CIC) geschaffenen Fundamentalrecht auf Datenschutz gemäß can. 220 CIC zum Ausdruck kommende Wertentscheidung zur Geltung zu bringen sind.« Insbesondere die Verpflichtung auf die »Herstellung und Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes« in der Präambel machen die Autoren so an verschiedenen Stellen produktiv, um nicht explizit in der KDSGO normierte Institute stark zu machen. Besonders interessant ist die Überlegung von Korta, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes es ermöglichen könnte, Grundsätze für die eigentlich nicht vorgesehene Prozesskostenhilfe zu entwickeln. Das wäre ein Segen vor allem für Missbrauchsbetroffene, die nolens volens Prozessbeteiligte werden – im Münsteraner Fall wäre das denkbar, wenn er vor Gericht geht.

Die beiden Rechtsordnungen haben auch Auswirkungen auf die Beteiligung weiterer rechtlicher Instanzen: Mit Ambros wird die Möglichkeit einer Berufung an den Papst starkgemacht, mit Martini/Botta für eine Vorlageberechtigung, aber gegen eine Vorlagepflicht beim EuGH argumentiert. (Leider wird nicht diskutiert, ob eine EuGH-Vorlage mit dem Verbot der Normenkontrolle kollidieren würde, nachdem sogar eine inzidente Normenkontrolle im Gegensatz zur Position des Vorsitzenden Richters des IDSG schon als nicht zulässig erachtet wird. Hilfreich wäre ein Wort dazu gewesen, wie sich das Normenkontrollverbot zum bedingten Vorrang von Spezialgesetzen aus § 2 Abs. 2 KDG verhält – schließlich ähnelt eine Nicht-Anwendung einer Spezialnorm aufgrund Unterschreitung des KDG-Schutzniveaus sehr einer inzidenten Normkontrolle.)

Kleinere Kritik

  • Hahn schreibt in Rn. 7 zur Präambel von einer auf drei Jahre befristeten Regelung, tatsächlich ist nur eine Evaluation vorgesehen, eine Ungültigkeits- oder Nichtigkeitsklausel gibt es nicht, wie Korta in Rn. 1 zu § 18 zutreffend feststellt.
  • Die KDSGO ist strenggenommen ein Allgemeines Dekret gemäß c. 455 § 1 CIC, kein kirchliches Gesetz, wie Ritter in Rn. 3 zur Einleitung schreibt (bei Hahn in Rn. 3 zur Präambel steht es korrekt), die Terminologie ist durch die Analogievorschrift in c. 29 CIC aber verschmerzbar und ohne Konsequenzen.
  • Ritter erwähnt in Rn. 2 zu § 2 zwar, dass andere kirchliche Rechtsnormen über den Datenschutz für die Zuständigkeit kirchlichen Gerichte in Frage kommen und erwähnt dazu auch die KDR-OG; leider fehlt hier die kanonistische Begründung, warum ein bischöflicher Rechtszug für Orden päpstlichen Rechts zuständig ist. (Diese Begründung wurde hier ausgeführt.) Für das Militärbistum hat Korta diese Frage mit Verweis auf die Apostolische Konstitution »Spirituali militum curae« geklärt. Schön wäre außerdem eine Klärung gewesen, ob die kirchlichen Gerichte für in der Kirche geltende weltliche Daten(schutz)gesetze wie das TTDSG oder den Data Act zuständig sind.
  • Ritter führt in Rn. 60 zu § 2 lange aus, warum ein Akteneinsichtsrecht aus der Gewährung des effektivem Rechtsschutzes folgt – dabei fehlte das nur vor Geltung der KDSGO, § 13 Abs. 2 KDSGO ist weitgehend identisch mit § 100 VwGO. Kurioserweise wird das in der Kommentierung zu § 17 (ebenfalls von Ritter) auch erwähnt.
  • Die KDSGO erwähnt im Gegensatz zur KAGO weder die Möglichkeit der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen noch regelt sie die Veröffentlichung von Entscheidungen. Hier wäre angesichts der Praxis der Gerichte eine Erörterung wünschenswert gewesen, zumal eine Begründung aus der auf das ganze System, nicht auf den Einzelfall bezogenen Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes gut in den sonstigen Duktus der Argumentation passen würde.

Fazit

Die vielen kleinen Kritikpunkte, die deutlich auf eine Erstauflage hindeuten, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die KDSGO-Kommentierung im Ganzen ausgesprochen gelungen ist und in der Gerichtspraxis sehr hilfreich sein dürfte, vor allem durch die ausführliche Anführung von Quellen und Entscheidungen auch aus dem staatlichen Recht. Für alle, die mit den kirchlichen Datenschutzgerichten zu tun haben, ist das Werk unersetzbar. Insbesondere die detailreiche Kommentierung der eigentlichen Verfahrensnormen im Vergleich zum staatlichen Recht ist stark und hilft beim Rückgriff auf Quellen des weltlichen Rechts zur Arbeit mit der KDSGO. Die Aufnahme in ein eigentlich arbeitsrechtliches Werk rechtfertigt sich auch dadurch, dass die Frage der MAV als Prozessbeteiligte ausführlich thematisiert wird.

Die starke Betonung der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes überzeugt auf ganzer Linie und zeigt sich als taugliches Instrument, mit Lücken und allzu kompakten Regelungen der KDSGO sinnvoll umzugehen. Erfreulich ist auch, dass das kirchliche Recht im Blick ist – hier zeigt sich aber auch, dass es zu einigen grundsätzlichen Fragen noch einige Desiderate für die Kanonistik gibt.

Hermann Reichold, Thomas Ritter, Christian Gohm: MAVO/KAGO/KDSGO, C.H. Beck 2023, 1504 Seiten, 139 Euro.Affiliate link

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