Glaube im Fediverse – die Mastodon-Instanz kirche.social

»Wir sind christlich, interkonfessionell und ökumenisch« – mit diesen Schlagworten stellt sich kirche.social als »gemeinschaftlich verantwortete Instanz von Menschen rund um die Kirche(n)« vor. Betrieben wird die Instanz des freien und föderierten sozialen Netzwerks Mastodon vom LuKi e.V. »LuKi« steht für »Linux User im Bereich der Kirchen«. Der ehrenamtlich getragene Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, freiheitliche und nachhaltige Digitalisierung in den Kirchen zu fördern – auch mit eigener Infrastruktur.

Auf einem Handy ist der Mastodon-Account von LibreChurch zu sehen
LibreChurch ist das Modellprojekt für freiheitliche und nachhaltige Digitalisierung des LUKi e.V. – und natürlich auch auf der eigenen Mastodon-Instanz zu finden. Neben kirche.social stellt das Projekt auch den Messenger synod.im und ein Videokonferenzsystem zur Verfügung.

Im Zuge der Aufregung auf Twitter ist kirche.social wie das Fediverse, also die Gesamtheit der föderierten sozialen Dienste, deutlich gewachsen. Im Interview erzählen Johannes Brakensiek und Christian Brecheis vom LuKi e.V. von den Herausforderungen und Besonderheiten, die ein kirchliches soziales Netzwerk mit sich bringt.

Frage: Warum gibt es kirche.social? Warum braucht es eine eigene kirchliche Mastodon-Instanz?

Johannes Brakensiek: Wir wollen keine Alternative zu den großen Netzwerken sein. Die können wir mit unseren Diensten nicht ersetzen. Aber wir können für die christliche Community Plattformen schaffen, auf denen man sich gut austauschen kann.

Frage: Die Dienste von Librechurch werden ehrenamtlich angeboten. Ansonsten kennt man im kirchlichen Bereich eher eingekaufte Dienstleistungen oder große IT-Abteilungen bei Bistümern und Landeskirchen. Was motiviert euch, das ehrenamtlich zu machen?

Christian Brecheis: Wir kommen ja nicht von der Ebene der Landeskirche, sondern aus den Gemeinden. Und da ist es ganz selbstverständlich, etwas ehrenamtlich auf die Beine zu stellen und viel selbst zu machen. Das hat aber seine Grenzen. Manches lässt sich in einer Kirchengemeinde allein nicht abbilden, weil es die lokal vorhandenen Kapazitäten und Kompetenzen überfordert. Mit Glück gibt es jemanden, der einen Server aufsetzen kann. Aber ist auch jemand da, der sich um die damit verbundenen rechtlichen Themen kümmern kann? Die Aufgabe des LuKi e.V. ist es, Menschen mit verschiedenen Kompetenzen zu vernetzen und es so in Gemeinden ehrenamtlich getragen möglich machen, Kompetenzen aus ganz unterschiedlichen Ecken, unterschiedlichen Konfessionen, unabhängig von kirchlichen Strukturen zu nutzen.

Porträtfotos von Johannes Brakensiek (links) und Christian Brecheis (rechts)
Johannes Brakensiek und Christian Brecheis gehören zum Team von kirche.social und sind dort unter den Accounts @letterus@kirche.social und @christianbrecheis@kirche.social zu finden. Brakensiek ist Pfarrer in der Evangelischen Kirche im Rheinland, Brecheis arbeitet an Datenschutzfragen für Gemeinden der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

Frage: Was ist die Zielgruppe von kirche.social: Einzelne Christinnen und Christen persönlich, oder kirchliche Institution?

Christian Brecheis: Beides. Einmal einzelne Menschen, die sich mit der Kirche identifizieren. Das sind hauptsächlich Leute, die sich eh schon engagieren, hauptamtlich oder ehrenamtlich. Aber auch, wer für seine Gemeinde oder eine kirchliche Dienststelle einen Ort im Fedivese sucht, ist bei uns richtig. Nicht auf allen Instanzen ist klar, wie man mit religiösen Inhalten umgehen soll. Wir bieten eine an, wo man sicher sein kann, dass man dann auch willkommen ist.

Frage: Wie äußert sich denn die Skepsis auf anderen Instanzen gegenüber religiösen Themen?

Johannes Brakensiek: Offene Ablehnung seitens der Instanzen selbst gibt es explizit eigentlich nicht. Aber man nimmt schon an gewissen Stellen Berührungsängste wahr. Bei uns ist klar, dass dezidiert christliche Inhalte willkommen und akzeptiert sind.

Frage:  Wie hat sich der aktuelle Tumult bei Twitter auf kirche.social ausgewirkt? Steigen die Nutzendenzahlen auch so extrem, wie andere Betreiber*innen berichten?

Johannes Brakensiek: Das war bei uns quasi wieder typisch kirchlich: Wir hatten keine exponentiellen Anstiege, und die Zuwächse kamen auch immer etwas nach den Wellen, die andere erreicht haben. Aber es sind trotzdem deutliche Steigerungen. Über die letzten 30 Tage hatten wir 250 Prozent mehr aktive Nutzer*innen.

Christian Brecheis: Man merkt auch, dass Mastodon aus der absoluten Nische herauskommt. Noch vor kurzem war das ein ganz kleines Vereinsprojekt, wo alle alle kennen. Das hat sich jetzt schon total verändert. Aber es ist nicht so extrem, dass wir überfordert wären und die Neuanmeldungen schließen müssten, wie das bei anderen Instanzen ist.

Frage: Und steht die Finanzierung? Die Traffic- und Serverkosten für eine Mastodon-Instanz können schnell enorm werden …

Johannes Brakensiek: Zumindest steht die Finanzierung so weit, dass es im Moment kein Thema ist. Wir haben die Aufgaben ganz gut auf Ehrenamtliche und unseren Hosting-Dienstleister aufgeteilt bekommen, das sollte bei der aktuellen Entwicklung noch eine Weile tragbar sein. Aber wenn es einmal so weit kommen sollte, dass man vielleicht sogar Personal für Administration und Moderation einstellen müsste, würde sich das natürlich drastisch ändern. Da sind wir aber noch lange nicht. Beim LuKi e.V. freuen wir uns über jedes neue Mitglied, das unsere Anliegen auch mit dem Mitgliedsbeitrag unterstützen will. Wir haben auch schon neue Mitglieder gewonnen, die wegen Mastodon zu uns gekommen sind. Aber eine Voraussetzung ist das nicht. Unseren Dienst können alle in aller Freiheit auch einfach so nutzen.

Frage: Neben finanziellen gibt es auch rechtliche Herausforderungen beim Betrieb einer Instanz. Wie geht ihr damit um?

Christian Brecheis: Am Anfang war da ganz vieles noch nicht geklärt. Fragestellungen, die sich aus föderierten Protokollen ergeben, sind noch ziemlich ungeklärt. Zum Glück ist dann irgendwann die Instanz legal.social online gegangen, die von Malte Engeler betrieben wird, der Jurist ist und sich mit IT-Recht und Datenschutz auskennt. Das war sehr hilfreich, dass er die Datenschutzerklärung von legal.social unter einer Creative-Commons-Lizenz verfügbar gemacht hat. Auch bei den Instanzen des baden-württembergischen Landesdatenschutzbeauftragten und des Bundesdatenschutzbeauftragten kann man sich viel abschauen.

Frage: Eine Frage, die Institutionen beim Social-Media-Auftritt klären müssen, ist das Verhältnis zur Plattform. Wenn ich eine Kirchengemeinde bin und mich bei kirche.social anmelde – was seid dann ihr? Auftragsverarbeiter? Sind wir gemeinsame Verantwortliche? Oder etwas ganz anderes?

Christian Brecheis: Wir gehen davon aus, dass der LuKi e.V. für kirche.social allein verantwortlich ist. Die Instanz ist ein Angebot des Vereins als Betreiber, und wir bestimmen allein über Mittel und Zwecke der Verarbeitung. Anders als bei einer Facebook-Seite haben Nutzende keinen Zugriff auf Analysedaten, deshalb fällt dieser Grund für eine mögliche gemeinsame Verantwortlichkeit weg. 

Frage: Gibt es zu den rechtlichen Fragen auch Kontakt mit kirchlichen Aufsichten oder den Rechts- und Datenschutzabteilungen der Kirchen?

Christian Brecheis: Persönlich stehe ich im Kontakt, weil das auch mein Beruf ist. Da war Mastodon bisher kaum Thema, eher am Rande. Aber ich habe schon wahrgenommen, dass es auch größere kirchliche Körperschaften gibt, die sich dafür interessieren. Die werden dann den rechtlichen Rahmen sicher umfassender klären, als es uns bisher möglich ist.

Johannes Brakensiek: Der LuKi e.V. ist keine kirchliche Stelle, sondern ein weltlicher Verein und daher im Geltungsbereich der DSGVO und unter Aufsicht der zuständigen staatlichen Behörde. Wir sind aber natürlich offen dafür, mit den kirchlichen Datenschutzaufsichten zu reden und Prüfungen zu unterstützen, wie kirchliche Stellen bei uns präsent sein können.

Frage: Welche offenen rechtlichen Fragen gibt es noch?

Johannes Brakensiek: Erstaunlich viele. Datenschutzrecht geht grundsätzlich von einzelnen Verantwortlichen aus, auf dezentrale und föderierte Dienste ist es nicht ausgelegt. Das Internet ist aber ein Netzwerk. Insofern ist Mastodon als föderiertes Netzwerk eigentlich nichts Besonderes, sondern der Normalfall des Netzes – so wie E-Mail auch. Die Besonderheit im Netz sind eigentlich einheitliche, zentrale Dienste wie Facebook oder Twitter. Und trotzdem sind noch viele rechtliche Fragen der Föderation offen.

Frage: Mastodon ist für viele noch neu. Was ratet ihr einer Gemeinde, einem Pfadistamm, einer diakonischen Einrichtung: Wie geht man an Mastodon ran? Was sind eure Tipps für den Einstieg?

Johannes Brakensiek: Mastodon ist nicht einfach eine Alternative zu Facebook oder Twitter oder Instagram. Diese Dienste werden oft für Reichweite genutzt. Das können wir auf Mastodon aber noch nicht anbieten. Deshalb sollte man erst einmal klären, was man eigentlich will. Wenn es wirklich Reichweite ist, dann ist Mastodon sicher nicht die richtige Wahl. Für Mastodon spricht, dass man sich dort ohne Überwachung und wirtschaftliche Verwertung austauschen kann. Der übersichtliche Rahmen könnte auch gut für Projekte mit Jugendlichen geeignet sein.

Christian Brecheis: Am besten fängt man nicht gleich als Institution an, sondern als Person, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was alles möglich ist, was es für eine Kultur gibt, wie der Austausch läuft – und welche überraschenden Einsatzmöglichkeiten es gibt: Bei uns auf der Instanz gibt es beispielsweise eine Gemeinde, deren Toots auch im digitalen Schaukasten angezeigt werden. Das ist eine Möglichkeit, Mastodon als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen, auf die man nicht unbedingt selbst kommen würde.

Frage: Wie geht ihr die Moderation auf kirche.social an?

Christian Brecheis: Zunächst haben wir die Anmeldung nicht ganz offen gemacht. Ein Moderator muss neue Accounts bestätigen, wer einen Account will, muss auch ein wenig dazu erzählen, warum er oder sie das will. Damit filtern wir schon von vornherein offensichtliche Fakes und Spam heraus. Wenn Papst Franziskus sich bei uns anmeldet, kriegt er natürlich gern einen Account, aber bevor wir den freischalten, würden wir schon genau überprüfen, ob er es auch wirklich ist.

Johannes Brakensiek: Bisher ist das sehr entspannt, wie man es auf einer kirchlichen Instanz erwarten kann. Generell habe ich den Eindruck, dass Mastodon nicht nur technisch, sondern auch im Umgang, in der Kultur den Anspruch hat, es anders als Twitter zu machen. In den Serverregeln von chaos.social steht als erstes »be excellent to each other«. Das finde ich auch für uns Christinnen und Christen interessant: Wie können wir dafür sorgen, dass wir als Teil eines großen Netzwerks für eine Kommunikation stehen, die aufmerksam, freundlich und wertschätzend ist?

Frage: »Seht, wie sie einander lieben« ist aber nicht immer das erste, an das man bei Diskussionen unter Christ*innen online denkt: Da wird sich der Glaube abgesprochen, Vorwürfe von Blasphemie und Häresie fliegen um die Ohren. Braucht es da spezielle kirchenspezifische Moderationsprinzipien?

Christian Brecheis: Bisher konnten und können wir alles klären. Kirchenspezifisch sind eher Themen als Prinzipien. Wir fragen zum Beispiel, was mit biblischen Zitaten ausgesagt werden soll, wenn ein Account eine Auswahl von Bibelstellen postet, die sehr einseitig wirkt. Eine kritische Auseinandersetzung ist legitim. Kontroverse religiöse Inhalte haben bei uns Platz, auch das gehört zur Religionsfreiheit. Aber es wäre nicht erlaubt, mit biblischen Zitaten eine gewaltverherrlichende Weltanschauung zu verbreiten oder zu Gewalt aufzurufen.

Johannes Brakensiek: Wir haben in unseren Nutzungsbedingungen einen Passus, dass wir besonderen Wert darauf legen, dass alle Nutzer:innen bei kirche.social Kommunikation gewalt- und unterdrückungsfrei erfahren können. Es ist bei uns also nicht in Ordnung, sich die Deutungshoheit über andere und ihren Glauben anzumaßen. Das ist der Punkt, an dem wir eingreifen würden.

In einem Webinar der EKD-Stabsstelle Digitalisierung stellt Christian Brecheis am 8. Dezember 2022, 17–18 Uhr, Mastodon vor. Die Teilnahme ist kostenlos.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert