VG Berlin bestätigt kirchlichen Datenschutz im Streit um Kirchensteuerstellen

Das Verwaltungsgericht Berlin hat eines der ersten (womöglich das erste) Urteil gefällt, in dem einige teils kontrovers angefragte Aspekte des kirchlichen Datenschutzes geprüft wurden. In seiner Entscheidung (VG Berlin, Urteil vom 07.04.2022 – 1 K 391/20) hatte es das Gericht mit der Frage zu tun, ob die Kirchensteuerstelle der staatlichen Datenschutzaufsicht unterliegt.

Briefkopf der Kirchensteuerstelle Berlin Tiergarten/Mitte
Briefkopf der Kirchensteuerstelle beim Finanzamt Berlin Mitte/Tiergarten (via ifw)

Die Kirchensteuerstellen in Berlin sind bei den Finanzämtern angesiedelt, aber kirchliche Stellen – konsequent, da die Religionsgemeinschaften selbst für die Feststellung der Kirchenmitgliedschaft zuständig sind, überraschend, da die Kirchlichkeit der Stellen angesichts der bis zum Briefkopf engen Anbindung ans staatliche Finanzamt nicht ganz intuitiv ist. Kritik daran gibt es seit Jahren.

Der Sachverhalt

Die Kirchensteuerstelle beim Finanzamt Mitte/Tiergarten fragte bei den Klägern die Religionszugehörigkeit der minderjährigen Kinder ab, die hatten sich darüber bei der Berliner Landesdatenschutzbeauftragten beschwert. Die Aufsicht wies die Beschwerde mangels Zuständigkeit zurück, dagegen richtet sich die Klage – mit einem ganzen Katalog an Anfragen an den kirchlichen Datenschutz:

»Die Datenschutzbeauftrage könne sich nicht auf Art. 91 DS-GVO berufen, da sich hieraus lediglich eine Überwachung durch eine staatliche Aufsichtsbehörde ergebe. Religionsgemeinschaften seien aufgrund von Art. 91 Abs. 2 DS-GVO nicht von einer behördlichen Aufsicht freigestellt. Zwar sei die Einrichtung eigener Aufsichtsbehörden durch die Religionsgesellschaften zulässig. Dies gehe aber nur so weit, wie sich das zu überprüfende Handeln auf die Mitglieder der jeweiligen Religionsgemeinschaft beziehe. […] Auch umfasse der Umfang der kircheneigenen Aufsichtstätigkeiten keine Steuerfragen, da Steuern keine eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaft seien. Jedenfalls könne keine selbstverwaltete Aufsicht durch die Religionsgemeinschaften eingerichtet werden, da die Kirchen das aktuelle Datenschutzregime nicht vollständig umgesetzt hätten. Auch fehle es an der Unabhängigkeit der kirchlichen Datenschutzaufsicht. Die konkrete Umsetzung des kirchlichen Datenschutzrechts unterliege daher sehr wohl der (subsidiären) Kontrolle durch staatliche Aufsichtsbehörden und könne nicht durch eine kirchliche Datenschutzaufsicht sichergestellt werden.« (Rn 10, Hervorhebungen ergänzt.)

Die Entscheidung

Für die Berliner Datenschutzaufsicht wie für die herrschende Meinung zu Art. 91 DSGVO ist das (noch nicht rechtskräftige) Urteil ein Sieg auf der ganzen Linie: »Der kirchliche Datenschutz unterliegt insoweit der kirchlichen und nicht einer besonderen staatlichen Aufsicht (1), vor allem ist das kirchliche Datenschutzrecht als umfassende Datenschutzregel im Sinne der DS-GVO zu verstehen (2). Die Kirchensteuerstelle unterliegt der Aufsicht der kirchlichen Aufsichtsbehörden (3) und die Aufsicht betrifft nicht nur Mitglieder der jeweiligen Religionsgemeinschaft (4).« (Rn 24, Hervorhebungen ergänzt.)

In allen vier genannten Punkte werden klare Entscheidungen vorgenommen. Die selten (etwa von Venerando Marano) vertretene Position, dass die im etwas kryptisch formulierten Art. 91 Abs. 2 DSGVO normierten spezifischen Aufsichten staatliche Behörden sein müssten, wird zurückgewiesen: »Schon die Systematik der Norm spricht aber für die Möglichkeit der Einrichtung eigenständiger kirchlicher Aufsichtsbehörden. Nach Art. 91 Abs. 2 DS-GVO muss die eingerichtete spezifische Aufsichtsbehörde die in Kapitel VI (Art. 51-59 DS-GVO) niedergelegten Bedingungen erfüllen. Staatliche Aufsichtsbehörden müssen diese Regelungen als primärer Normadressat ohnehin erfüllen, so dass im Umkehrschluss nach Art. 91 Abs. 2 DSGVO auch die Einrichtung nicht staatlicher Aufsichtsbehörden ermöglicht wird.« (Rn 26, weiter ausgeführt in Rn 27.) Ohne größere Prüfung wird den Aufsichten der römisch-katholischen und der evangelischen Kirchen unter Literaturverweis attestiert, die notwendigen Bedingungen zu erfüllen. (Rn 29.)

Die jeweiligen kirchlichen Datenschutzgesetze werden als umfassende Regelung im Sinne der DSGVO anerkannt (Rn 30, 32). Dabei wird auch eine Frage gestreift, wie der geforderte Einklang zu interpretieren sei: »Dabei bedeutet „in Einklang bringen“ keine Deckungsgleichheit zur Datenschutz-Grundverordnung. Vielmehr muss den Kirchen ein Gestaltungsspielraum verblieben, was sich gesetzessystematisch auch aus dem Vergleich zur strikteren Vorgabe des Art. 91 Abs. 2 DS-GVO erschließen lässt« (Rn 31).

Die Konstruktion der Kirchensteuerstellen wird als zulässig erachtet: »Insoweit handelt es sich um eine kirchliche Angelegenheit die auch dem kirchlichen Datenschutz unterfällt und die kirchliche Datenschutzaufsicht erstreckt sich auf diese Datenverarbeitungen zum Zwecke der Kirchensteuererhebung.« (Rn 35.)

Das Argument, kirchliches Datenschutzrecht und seine kirchliche Beaufsichtigung könne sich nur auf Mitglieder erstrecken, wird deutlich zurückgewiesen (Rn 36). Weder der Wortlaut von Art. 91 DSGVO noch der Erwägungsgrund 165 stützten diese Auslegung. Art. 91 Abs. 1 DSGVO stelle lediglich auf eine Kirche und den Schutz natürlicher Personen ab: »Eine Beschränkung auf die Mitglieder dieser Kirche ist dem Wortlaut nach nicht gegeben. Die Fragen der Zuständigkeit knüpfen vielmehr an die handelnden Institutionen an. Anderenfalls würden die Kirchen für ihr Handeln gegenüber ihren Mitgliedern der eigenen kirchlichen Aufsicht unterliegen und im Übrigen der staatlichen Aufsicht. Diese Auftrennung der aufsichtsrechtlichen Zuständigkeit ist in der Datenschutz-Grundverordnung jedoch an keiner Stelle vorgesehen.«

Fazit

Das Berliner Urteil stützt die herrschende Meinung der Kommentarliteratur zum kirchlichen Datenschutz deutlich und ist insofern keine Überraschung. Ebenso deutlich zurückgewiesen wurden damit Argumentationen, die die Kirchensteuerstellen speziell oder das kirchliche Datenschutzrecht generell oder mit Blick auf seine Geltung für Nichtmitglieder für unzulässig halten – ohnehin eine Minderheitenmeinung.

Aus dem veröffentlichten Urteil ist natürlich nichts weiteres über die Klagenden ersichtlich – verwiesen wird in Rn 44 aber auf ein vorgelegtes Gutachten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es sich dabei um die »Datenschutzrechtliche Bewertung der Zusammenarbeit von Finanzamt und Kirchensteuerstelle in Berlin« von Alexander Roßnagel (der mittlerweile Landesdatenschutzbeauftragter in Hessen ist) handelt, die im Auftrag des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) angefertigt wurde (hier ging es auch schon einmal darum). Auch die Verwendung des Vorwurfs der »Rasterfahndung« in der Klage wie beim ifw deuten darauf hin. Der Fall könnte also ein Versuch strategischer Prozessführung sein – möglicherweise bleibt es daher nicht bei der ersten Instanz, wobei das VG Berlin die Berufung nicht zugelassen hat (und damit der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zugesteht) und daher eine Nichtzulassungsbeschwerde nötig wäre.

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