Die KI-Regulierung des Vatikans – Inhalt und Analyse

Der Vatikanstaat hat seinen eigenen AI Act: Ab 1. Januar gelten im Kirchenstaat die »Linee Guida in materia di intelligenza artificiale« (Dekret Nr. DCCII). Wo die EU 113 Artikel in 13 Kapiteln braucht, kommt die vatikanische Regelung mit 15 Artikeln in 3 Kapiteln aus – alles ist etwas kleiner im kleinsten Staat der Welt.

Das Dekret, mit dem die KI-Richtlinien des Vatikans erlassen wurden, vor dem Regierungsgebäude des Staats der Vatikanstadt.
Das Dekret, mit dem die KI-Richtlinien des Vatikans erlassen wurden, vor dem Regierungsgebäude des Staats der Vatikanstadt (Foto: Marek.69, CC BY-SA 4.0, zugeschnitten und bearbeitet/Staat der Vatikanstadt/Montage fxn)

Inhaltlich lehnt sich das Vatikan-KI-Gesetz an die EU-KI-Verordnung an, betont aber stärker ethische Aspekte der KI-Nutzung, die in den letzten Jahren nicht zuletzt von Papst Franziskus selbst immer wieder angemahnt wurden, und die vom Vatikan bislang unterhalb einer gesetzlichen Regelung durch die KI-Ethik-Charta des »Rome Call for AI Ethics« vorangetrieben wurde.

Grundzüge

Die KI-Richtlinien wurden durch ein Dekret der Päpstlichen Kommission für den Staat der Vatikanstadt in Kraft gesetzt. Die Kommission nimmt stellvertretend für den Papst die gesetzgeberischen Aufgaben im Kirchenstaat wahr. Trotz der unverbindlich klingenden Bezeichnung als »linee guida«, Richtlinien, hat die Regulierung Gesetzeskraft. In der begleitenden Presseerklärung wie im Gesetz selbst kündigt der Vatikanstaat an, dass für die nähere Zukunft noch weitere Ausführungsgesetze und -verordnungen geplant sind.

Gesetze der Vatikanstadt betreffen die Organe (und gegebenenfalls die Bürger*innen) des Kirchenstaates, sie sind also kein eigentliches Kirchenrecht. Insbesondere gelten sie nicht für die ebenfalls im Vatikan angesiedelte Kurie, also den Verwaltungsapparat des Papstes für die Universalkirche – wie schon das Vatikan-Datenschutzgesetz ist der Anwendungsbereich daher deutlich kleiner als man möglicherweise denkt.

Dem Dekret sind Erwägungsgründe vorangestellt: Einerseits betont der Gesetzgeber, dass »Wissenschaft und Technik ein Produkt menschlicher Kreativität als Geschenk Gottes sind und unzählige Übel beseitigt haben, die den Menschen geplagt und eingeschränkt haben«, andererseits stelle der technische Fortschritt »ein Risiko für das Überleben und eine Gefahr für das Gemeinwohl« dar. Angesichts der verbreiteten Nutzung von KI-Systemen wird die Gesetzgebung daher als nötig erachtet, um eine ethische Ausrichtung der Anwendung und Nutzung sicherzustellen.

Inhalt der KI-Richtlinien

Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen

Zweck, Anwendungsbereich und Begriffe

Artikel 1 regelt Zweck und Anwendungsbereich. Oberstes Ziel ist, »allgemeine Grundsätze, die darauf abzielen, die ethische und transparente Nutzung künstlicher Intelligenz in einer anthropozentrischen und vertrauenswürdigen Dimension unter Achtung der Menschenwürde und des Gemeinwohls zu verbessern und zu fördern« (§ 1). Daher müssen Erforschung, Erprobung und Entwicklung von KI-Systemen und -Modellen gemäß der Richtlinien erfolgen (§ 2). Der Geltungsbereich (§ 3) umfasst neben den Institutionen des Vatikanstaat auch das Personal und Lieferanten und Dienstleister.

Artikel 2 enthält Begriffsbestimmungen, die sich grundsätzlich, teilweise wörtlich, an die Begriffsbestimmungen der EU-KI-Verordnung anlehnen, dabei aber deutlich kompakter bleiben. Definiert werden Künstliche Intelligenz, Systeme Künstlicher Intelligenz, Modelle Künstlicher Intelligenz, Daten, biometrische Daten sowie Risiko.

Grundlegende Prinzipien

Artikel 3 befasst sich mit grundlegenden Prinzipien und steigt tatsächlich sehr grundlegend ein: Die gesetzesunterworfenen Stellen müssen sich in ihrer KI-Nutzung an Menschenwürde und Gemeinwohl sowie »Grundsätzen der ethischen Verantwortung, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit des Verwaltungshandelns« orientieren (§ 1).

Bei der Entwicklung und Anwendung von KI-Systemen und Modellen müssen die Sicherheit des Vatikanstaats, der Schutz personenbezogener Daten, Nichtdiskriminierung, wirtschaftliche Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung sichergestellt werden (§ 2).

Beim Einsatz von KI haben die gesetzesunterworfenen Stellen den Einsatz zu überwachen und Richtigkeit, Zuverlässigkeit, Angemessenheit, Transparenz und Verhältnismäßigkeit sicherzustellen (§ 3).

Weitere Schutzziele sind Autonomie und Entscheidungskompetenz von Menschen; in einer an entsprechende Äußerungen von Papst Franziskus erinnerenden Diktion wird die »anthropozentrische Dimension« stark gemacht (§ 4). Die Anwendung von KI darf weder die pastorale Mission des Papstes, die Integrität der katholischen Kirche noch die institutionellen Aufgaben der Regierung des Vatikanstaats beeinträchtigen (§ 5).

Verbote

Eine detaillierte Klassifizierung von KI-Systemen in verschiedene Risikoklassen unterbleibt in den Vatikan-Richtlinien. Wie in der KI-Verordnung gibt es aber klare Verbote:

  1. Systeme, die »allgemeine anthropologische Schlüsse« ziehen, die zu Diskriminierung Einzelner führen
  2. unterschwellige Manipulation
  3. Systeme, die Menschen mit Behinderungen den Zugang zu ihnen verwehren
  4. Systeme, die »soziale Ungleichheiten schaffen, die Menschenwürde herabsetzen und gegen grundlegende menschliche Prinzipien verstößt«
  5. Systeme, die Sicherheit und öffentliche Ordnung im Vatikanstaat gefährden
  6. Systeme, deren »Zwecke mit der Mission des Papstes, der Integrität der katholischen Kirche und der ordnungsgemäßen Durchführung der institutionellen Tätigkeiten des Governatorats des Staates Vatikanstadt in Konflikt stehen«
  7. Generell Systeme im Widerspruch den Richtlinien

Die Liste an verbotenen Systemen ist damit deutlich kompakter als die entsprechende Liste in Art. 5 KI-VO, aber auch deutlich allgemeiner gehalten. Diese weiten Ausschlüsse zusammen mit der Generalklausel am Ende des Katalogs eröffnet so angesichts der sehr allgemein gehaltenen Zielsetzung der Richtlinien und der sehr weit auslegbaren Prinzipien der Würde und des Gemeinwohls die Möglichkeit, über die ausdrücklich verbotenenen Anwendungen noch weitere zu definieren.

Kapitel II: Allgemeine Grundsätze nach Bereichen

Der ausführlichste Teil der Richlinien widmet sich einzelnen Einsatzbereichen von KI. Insgesamt neun Bereiche werden dabei behandelt.

Datenverarbeitung und Datenschutz

So wie die KI-VO die DSGVO unberührt lässt, gilt auch das Vatikan-Datenschutzgesetz ungeschmälert. Die in Art. 5 getroffenen Regelungen zur Verarbeitung und Weitergabe von Daten im Rahmen von KI-Systemen und -Modellen wiederholen die allgemeinen Prinzipien. Wichtig ist die Maßgabe, dass Informationen über den Einsatz in »klarer und einfacher« Sprache formuliert sein (§ 4).

Forschung und Gesundheitswesen

Art. 6 ermöglicht ausdrücklich den Einsatz von KI-Systemen im Gesundheitswesen, schärft aber erneut Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und Datenschutz ein. Die Letztentscheidung muss aber Menschen zukommen: KI-Systeme dürfen die Entscheidungsfreiheit von Ärzt*innen nicht beeinträchtigen oder einschränken (§ 4).

Urheberrecht

Art. 7 befasst sich mit Immaterialgüterrechten. Wie beim Datenschutz bleibt auch das vatikanische Urheberrecht unangetastet durch die KI-Regulierung. Für KI-generierte Inhalte gilt eine allgemeine Kennzeichnungspflicht mit der Abkürzung »IA« für »intelligenza artificiale« (§ 2); wie diese Kennzeichnungspflicht über das Kürzel hinaus umzusetzen ist, wird nicht ausgeführt.

Bemerkenswert ist, dass sich der Vatikanstaat in § 3 das Urheberrecht an KI-generierten Inhalten sichert, die im (geografischen) Geltungsbereich der KI-Leitlinien hergestellt werden. KI-generierte Inhalte gelten daher nicht wie in anderen Jurisdiktionen mangels Urheber*in als gemeinfrei. Da die Richtlinien nur für die in Art. 2 definierten Institutionen und Personen gelten, dürfte das keine Auswirkung auf KI-Inhalte haben, die von Privatpersonen im Vatikan produziert werden; für Angestellte des Vatikans aber grundsätzlich schon – hier ist die Frage, ob das auch für sie gilt, sofern sie KI-Anwendungen privat, aber auf Vatikan-Gebiet verwenden.

Urheberrecht im Vatikan ist traditionell weitreichender als in anderen Jurisdiktionen: Amtliche Werke sind nicht gemeinfrei, es gibt keine Panoramafreiheit, Stimme und Bild des Papstes (und nicht nur von ihm geschaffene Werke) sind eigens geschützt – eigenständige Regelungen auch für KI-generierte Inhalte sind also keine Überraschung.

Kulturgut

Für das Kulturgut bleiben gemäß Art. 8 die Vatikan-Gesetze über den Schutz von Kulturgütern in Kraft. Ausdrücklich verweist § 4 auf Art. 7, der auch für die Vervielfältigung und wirtschaftliche Verwertung von Kulturgut uneingeschränkt gilt – dass Urheberrecht auf KI-generierte Inhalte geltend gemacht wird, dürfte also wesentlich mit dem Kulturgüterschutz zusammenhängen, wohl auch inspiriert durch das restriktive italienische Kulturerbe- und Landschaftsgesetzbuch.

Infrastruktur, Dienstleistungen und Verwaltung

Die Regelungen zur Anwendung von KI bei Infrastruktur und Dienstleistungen (Art. 9) des Vatikanstaats gleichen den anderen: Das relevante Recht – hier das Gesetz über die Regierung des Staates Vatikanstadt – bleibt unberührt, der Einsatz ist zulässig, menschliche Letztentscheidung muss aber gewährleistet werden.

Etwas detaillierter ist Art. 10 zum Einsatz von KI bei Verwaltungsverfahren. Über die sonstigen Regelungen hinaus müssen KI-Anwendungen bei Verwaltungsverfahren zusätzlich besonders die Grundsätze der Ethik, der Transparenz, Sparsamkeit und Effizienz sowie der Rechtmäßigkeit der Verwaltung und good governance eingehalten werden (§ 2). Anders als bei den anderen Anwendungsbereichen braucht es für die Entwicklung und Anwendung zunächst eine Folgenabschätzung vor Beginn der Maßnahme, außerdem ist eine Evaluation nach sechs Monaten vorgesehen (§ 5).

Personalwesen

Art. 11 regelt den Einsatz von KI im Personalwesen. Der Einsatz ist ausdrücklich erlaubt für Ausbildung, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz (§ 1). Bei der Personalauswahl wird Transparenz und Nichtdiskriminierung betont (§ 2). Wieder muss die Letztentscheidung bei Menschen liegen (§ 3), die Beachtung des Datenschutzrechts wird ausdrücklich normiert.

Justiz

Art. 12 schränkt die Anwendung von KI-Systemen in der Vatikan-Justiz auf Organisation und Arbeitsvereinfachung sowie zur juristischen Forschung ein (§ 1). Die Letztentscheidungskompetenz von Richter*innen wird in allen Phasen der Rechtsfindung herausgehoben: bei der Auslegung, der Tatsachen- und Beweiswürdigung sowie bei Entscheidungen.

Sicherheit

Art. 13 ist nur ein Platzhalter mit der Ankündigung, dass Sicherheit allgemein und Informationssicherheit im Besonderen durch die bestehenden Gesetze und noch zu erlassende spezifische Durchführungsverordnungen geregelt werden.

Kapitel III: Schlussbestimmungen

In den Schlussbestimmungen wird der Präsident des Governatorats beauftragt, eine Kommission für Künstliche Intelligenz einzurichten (Art. 14). Die KI-Kommission besteht aus fünf jeweils auf drei Jahre ernannten Personen: zwei Beamte des Rechtsamts, zwei Beamte der Direktion für Telekommunikation und Informationssysteme und ein Beamter der Direktion für Sicherheit und Katastrophenschutz. Geleitet wird sie von dem*der Generalsekretär*in, also dem*der Vizeregierungschef*in, derzeit Sr. Raffaella Petrini.

Die Kommission hat zum einen die Aufgabe, innerhalb eines Jahres die in Art. 15 in Aussicht gestellten Durchführungsnormen auszuarbeiten. Außerdem hat sie Aufsichtsaufgaben: Sie gibt Stellungnahmen zu KI-Vorhaben ab, überwacht ihre Anwendung und legt alle sechs Monate einen Bericht über die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz im Vatikan ab.

Fazit

Nachdem der Vatikan jahrelang die Digitalisierung in seinem Recht nicht nachvollzogen hat, gab es 2024 eine Gesetzgebungsoffensive: Zur Jahresmitte ein Datenschutzgesetz, zum Datenschutzende nun die KI-Regulierung. Beide Gesetzeswerke orientieren sich deutlich an den einschlägigen EU-Normen.

Beim KI-Gesetz wurde ein schlanker Ansatz gewählt, der zunächst nur einen allgemeinen Rahmen festlegt. Bemerkenswert ist die klare ethische Stoßrichtung, die bisher eher in unverbindlichen KI-Chartas zu finden war und weniger in Gesetzgebung. Der Fokus auf die menschliche Letztentscheidungskompetenz, Menschenwürdeschutz und Gemeinwohldienlichkeit sind wesentliche Charakteristika einer von der katholischen Soziallehre grundierten und informierten Gesetzgebung. Die Grundhaltung bleibt dabei aber optimistisch: Der Einsatz von KI-Systemen ist gewollt und wird ermöglicht.

Etwas zu kurz kommen leider ökologische Aspekte: Während der sehr repetitive Gesetzesaufbau immer wieder Grundprinzipien wiederholt, wird die Bewahrung der Schöpfung nur an einer einzigen Stelle bei den grundlegenden Prinzipien erwähnt. Immerhin wird sie erwähnt: In der EU-KI-Verordnung sind die ökologischen Aspekte eine komplette Leerstelle. Aber das ist nicht genug; denkbar wäre etwa gewesen, der KI-Kommission aufzuerlegen, in ihren regelmäßigen Berichten auch die Aufstellung einer Ökobilanz aufzuerlegen oder bei einzelnen Maßnahmen eine ökologische Folgenabschätzung vorzuschreiben. Es bleibt zu hoffen, dass die angekündigten Ausführungsbestimmungen hier noch nacharbeiten.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert