Staatliches Prozessrecht vor kirchlichen Datenschutz-Gerichten

Das katholische Datenschutzrecht ist Kirchenrecht: Das KDG wird jeweils vom Diözesanbischof erlassen, die KDR-OG von den zuständigen Instanzen der Orden, die Gerichtsordnung KDSGO von der Deutschen Bischofskonferenz mit einem besonderen Mandat des Heiligen Stuhls. Da liegt es eigentlich nahe, dass dieses spezielle Kirchenrecht durch Regelungen des universalen Kirchenrechts ergänzt wird wo nötig. In der vergangenen Woche veröffentlichte das IDSG eine Entscheidung, in der es genau das nicht getan hat: Obwohl es eigene Normen des Kirchenrechts zur Fristberechnung gibt, wurden Fristen stattdessen gemäß BGB berechnet.

In der Rechtssammlung zum kirchlichen Datenschutzrecht steckt eine Textausgabe der Verwaltungsgerichtsordnung.
Wer hätte das gedacht: Das kirchliche Datenschutzrecht fußt zwar auf dem Kirchenrecht und ist selbst Kirchenrecht, zum Tragen kommt aber staatliches Prozessrecht.

Warum das Gericht so agiert, wird mit einer nun veröffentlichten Entscheidung des DSG-DBK (Beschluss vom 16. Januar 2024, DSG-DBK 02/2023) deutlich: Beide Instanzen gehen davon aus, dass die sehr kompakte kirchliche Gerichtsordnung subsidiär nicht durch das kirchliche, sondern das staatliche Prozessrecht ergänzt wird.

Der Fall

Wieder einmal geht es um einen Streit um einen Kirchenaustritt – und zwar einen Fall, der die kirchliche Datenschutzgerichtsbarkeit schon 2019 und 2021 beschäftigt hat. Damals war der Kläger damit gescheitert, im Kirchenbuch seinen Austritt als »Austritt aus der Katholischen Kirche, Körperschaft des öffentlichen Rechts« vermerken zu lassen. Kurios ist, dass der Kläger jetzt das genaue Gegenteil will: Hatte er in seiner ersten Klage noch eine Eintragung verlangt, die einen Austritt nur aus der Körperschaft ohne Absicht der Trennung von der Kirche bescheinigt, will er jetzt im Ergebnis das Gegenteil: Der Austritts-Eintrag soll seine »defectio ab
Ecclesia catholica actu formali« dokumentieren, also seinen Abfall von der katholischen Kirche durch einen formalen Akt. Einen derartigen Eintrag hat der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte (Mitteilung vom 13. März 2006) geregelt. Ein solcher Formalakt liegt nur vor, wenn er von einer inneren Entscheidung getragen ist, die katholische Kirche zu verlassen, dies ausgeführt und nach außen hin bekundet wird und diese Entscheidung von der kirchlichen Autorität angenommen wird.

Die erste Instanz hatte die Klage als unbegründet zurückgewiesen, da schon im ersten Prozess festgestellt wurde, dass keine Datenschutzverletzung durch den Taufbucheintrag vorliegt. Beim DSG-DBK hatte der Kläger dann vorgebracht, dass sich das IDSG zu Unrecht auf die Rechtskraft des ersten Verfahrens berufen habe, weil noch außerordentliche Rechtsmittel beim Papst eingelegt werden können. Außerdem sei es bei den beiden Klagen um unterschiedliche Dinge gegangen: Einmal die aus Sicht des Klägers unvollständige Eintragung des Austritts vor der staatlichen Stelle, einmal die Berichtigung gemäß der Mitteilung des Rats für die Gesetzestexte. Weiterhin bemängelte der Kläger, dass sich das IDSG auf das staatliche Recht bezogen hatte, nämlich die Verwaltungsgerichtsordnung, mithin habe das Interdiözesane Datenschutzgericht »völlig verfahrensfremde Vorschriften« angewandt.

Die Entscheidung

Ordentlicher Rechtsweg ausgeschöpft

Das DSG-DBK folgt dem IDSG: Zurecht habe es auf die frühere Entscheidung zurückgegriffen. Aufgrund der materiellen Rechtskraft der Entscheidung steht fest, dass die Eintragung im Taufbuch im datenschutzrechtlichen Sinne richtig ist. Dem stehe auch nicht entgegen, dass das Kirchenrecht noch weitere außerordentliche Rechtsmittel kennt. Dass ein Appell an den Papst und eine Übertragung der Zuständigkeit für diesen Appell durch den Papst an das oberste Kirchengericht, die Apostolische Signatur, möglich ist, sei »nicht ausgeschlossen«. Die Rechtskraft eines kirchengerichtlichen Urteils trete aber dann ein, wenn alle ordentlichen Rechtsmittel ausgeschöpft sind: Die KDSGO sieht keine ordentlichen Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des DSG-DBK vor.

Subsidiäre Anwendung des staatlichen Rechts

Das DSG-DBK bestätigt den Rückgriff des IDSG auf die VwGO statt auf das kirchliche Prozessrecht. Das entspreche der ständigen Rechtsprechung beider Instanzen. In der KDSGO gibt es zwar keine explizite Regelung dazu. Dennoch sieht das DSG-DBK darin eine Rechtfertigung und begründet dies staatskirchenrechtlich: »Die Möglichkeit zu einer kircheneigenen Datenschutzgesetzgebung mit einer eigenen, kirchlichen Datenschutzgerichtsbarkeit unter Ausschluss der Anwendung des weltlichen Datenschutzrechts und des Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten musste der Kirche indes durch die weltliche Rechtsordnung eingeräumt werden. Die Kirche kann eine eigene Rechtsordnung zwar aus eigenem Recht erlassen, nicht aber aus eigenem Recht eine ersetzende Anwendung des kirchlichen Rechts an Stelle der einschlägigen Normen der weltlichen Rechtsordnung anordnen. Diese Möglichkeit ist ihr nur auf der Basis der Verfassungsgarantie der kirchlichen Selbstbestimmung nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung durch eine konkrete Norm der weltlichen Rechtsordnung eingeräumt sein [sic!], für das Datenschutzrecht konkret durch Art. 91 der Datenschutz-Grundverordnung.«

Mit der Datenschutzgesetzgebung bewege sich die Kirche im Korridor des Art. 91 DSGVO und damit des Einklanggebots. Nach Ansicht des Gerichts gelte das nicht nur für materielle, sondern auch für prozessuale Regelungen. Das kirchliche Recht müsse sicherstellen, »dass das für datenschutzrechtliche Klagen anzuwendende Prozessrecht den Rechtsschutzstandards des staatlichen Rechts entspricht, wenn sie nicht der durch Art. 91 DSGVO eingeräumten Gestaltungsoption verlustig gehen möchte«. Durch die Präambel zur KDSGO, in der auf das verfassungsrechtliche Selbstbestimmungsrecht und die DSGVO Bezug genommen wird, hätte der kirchliche Gesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck gebracht, »die im weltlichen Recht begründeten Voraussetzungen für ein die Anwendung des weltlichen Rechts sperrende kirchliche Gesetzgebung zu respektieren, also ein Prozessrecht zu schaffen, dass den prozessualen Standards des damit verdrängten staatlichen Prozessrechts entspricht«. Würde man das kirchliche Prozessrecht anwenden, müsste man das in jedem Einzelfall prüfen. Bei der subsidiären Anwendung der VwGO seien die rechtsstaatlichen Standards in jedem Fall gesichert.

Zudem bindet § 3 Abs. 3 S. 1 KDSGO die kirchlichen Richter auch an die Normen des staatlichen Rechts. »Da das kirchliche Recht materiell mit dem KDG eine Vollregelung des Datenschutzbereichs vornimmt, prozessual aber mit der KDSGO nur eine rudimentäre Regelung geschaffen hat, wird diese vom kirchlichen Gesetzgeber angeordnete Bindung an das staatliche Recht gerade im Bereich des Prozessrechts relevant«, führt die Entscheidung aus. Schließlich spreche für diese Auslegung, dass Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende die staatliche Befähigung zum Richteramt benötigen, ein Grad im kanonischen Recht genügt nicht. Weil der*die Vorsitzende die Verhandlung in der Regel leitet, könne man daraus Rückschlüsse auf die Absicht des Gesetzgebers ziehen: »Wenn aber der kirchliche Gesetzgeber die Verfahrensleitung im Wesentlichen in die Hand von Personen gelegt hat, die nach dem in der kirchlichen KDSGO normierten Qualifikationsanforderungen allein über eine Befähigung im staatlichen, nicht aber im kirchlichen Recht verfügen, so legt auch diese Bestimmung nahe, dass der kirchliche Gesetzgeber für Verfahrensfragen die subsidiäre Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung beabsichtigt hat.«

Fazit

Die Entscheidung des DSG-DBK ist für alle, die vor den kirchlichen Datenschutzgerichten auftreten, hochgradig relevant: Rückgriffe auf kirchliches Verfahrensrecht dürften in der Regel fruchtlos sein. Sich einen kanonistisch versierten Rechtsbeistand zu suchen dürfte weniger nützlich sein, dafür erleichtert die vertretene Position die Arbeit von Anwält*innen, die nur mit weltlichem Recht vertraut sind. Im Duktus der Entscheidung dürfte sich auch kaum rechtfertigen lassen, von Anwält*innen die Kirchenzugehörigkeit zu fordern, wie es c. 1483 CIC grundsätzlich tut.

Das Gericht hat seine Position sehr selbstbewusst begründet. Auf die – wenige – einschlägige kanonistische Literatur ist es gar nicht eingegangen: Matthias Ambros hat auf deutliche Differenzen zwischen KDSGO und kirchlichem Prozessrecht kritisch hingewiesen und Lücken aus dem Kirchenrecht ergänzt, der bisher einzige ausführliche KDSGO-Kommentar von Reichold/Ritter/Gohm greift umfangreich auf Ambros zurück. Gerade aus kanonistischer Perspektive wäre eine kritische Befassung mit der Entscheidung sehr zu wünschen: Möglicherweise ist die Argumentation doch etwas zu forsch, wenn das Gericht selbst einräumt, dass auch zunächst das kirchliche Prozessrecht herangezogen werden könnte, dies dann aber im Lichte des Einklangs jeweils überprüft werden müsste.

Unmittelbare Auswirkungen hätte kanonistische Kritik nicht, wenn sie es nicht schaffte, das Gericht umzustimmen: Die subsidiäre Anwendung der VwGO ist ständige und nun ausdrücklich bestätigte Rechtsprechung der kirchlichen Datenschutzgerichte. Um daran etwas zu ändern, bräuchte es eine authentische Interpretation des Gesetzgebers oder eine römische Intervention – letzteres scheint wenn überhaupt wahrscheinlicher.

Trotz kanonistischer Anfragen: Im Ergebnis ist die Position des DSG-DBK eine gute Nachricht für die Rechtskultur in der Kirche. Das kirchliche Prozessrecht hat erhebliche Defizite: Es gibt kein Öffentlichkeitsprinzip und Entscheidungen werden in der Regel nicht publiziert. Beides haben die kirchlichen Datenschutzgerichte ohne ausdrückliche Normierung in der KDSGO anders gehandhabt: Mündliche Verhandlungen sind öffentlich, Entscheidungen werden umfangreich publiziert. Das stärkt das Vertrauen in die Gerichte und erleichtert Rechtsanwender*innen den Umgang mit dem kirchlichen Datenschutzrecht. Ohne die selbstbewusste Auslegung des Gerichts wäre das wohl nicht möglich gewesen.

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