Einwilligung zu Lasten Dritter – Wochenrückblick KW 3/2024

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Wochenrückblick Kirchlicher Datenschutz KW 3/2024
(Bildquelle: ali syaaban on Unsplash)

Die Woche im kirchlichen Datenschutz

Streit um Veröffentlichung von Kinderfoto in Kirchenzeitung

Die irische Datenschutzaufsicht hat eine Fallstudie zur Veröffentlichung eines Fotos eines Kindes in einer Kirchenzeitung veröffentlicht. Das Bild wurde von der Zeitung mit Name und Teilen der Adresse publiziert und stammt von einer Facebook-Seite einer Religionsgemeinschaft. Die Sorgeberechtigten beschwerten sich bei der Aufsicht, dass für die Veröffentlichung keine Einwilligung vorliege. Gegenüber der Aufsicht gab die Zeitung an, dass ein Reporter einen Vertreter der Religionsgemeinschaft um die Erlaubnis zur Verwendung gebeten hätten. Das Bild sei ohnehin bereits öffentlich gewesen, die Adressteile bezögen sich auf die Religionsgemeinschaft, nicht auf das Kind. (Es handelt sich also vermutlich nur um eine Ortsangabe.) Die Einwilligung der angefragten Person sei anstelle der Eltern erteilt worden. Daher bezieht sich die Zeitung als Rechtsgrundlage auf Art. 9 Abs. 2 lit. a) (Einwilligung) und lit. e) (offensichtlich öffentlich gemachte Daten).

Nachdem damit eine Rechtfertigung für die Verarbeitung besonderer Kategorien gefunden war, führte die Zeitung ein berechtigtes Interesse für die Veröffentlichung an. Die Vertreter der betroffenen Person waren mit dieser Erklärung nicht zufrieden und hielten an ihrer Position fest, dass es einer ausdrücklichen Einwilligung bedürfe. Die Aufsicht folgte dem Vortrag des Verantwortlichen. Als Abhilfemaßnahme wurde lediglich eine Empfehlung ausgesprochen, »den Verhaltenskodex des Presserats zu berücksichtigen, insbesondere den darin enthaltenen Grundsatz 9, um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Datenminimierung beachtet wird, und die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Veröffentlichung und den Rechten und Interessen der betroffenen Personen durchzuführen und zu dokumentieren«. Die Aufsicht ist in unverständlichem Maß großzügig gegenüber dem Verantwortlichen – wie sie zur Position kommt, dass der Vertreter der Religionsgemeinschaft an Stelle der Eltern und entgegen deren nachträglich ausdrücklich geäußerte Verweigerung der Einwilligung in die Verarbeitung einwilligen können soll, bleibt unklar. Dieselbe Problematik gibt es mit dem Art.-9-Grund offensichtlich öffentlich gemachter Daten: Der greift dem Wortlaut nach nur, wenn das durch die betroffene Person selbst (und wohl ihre gesetzlichen Vertreter*innen) passiert.

Kirchlicher-Datenschutz-Forscherin Martina Tollkühn im Porträt

Das Magazin Cogito der Uni Luzern hat bereits im Dezember die Kirchenrechtlerin Martina Tollkühn portraitiert, die unter anderem zu kirchlichem Datenschutz forscht und seit dieser Amtszeit auch Richterin am IDSG ist. »Mit dieser Aufgabe bietet sich mir die Möglichkeit, meine Forschung in der Praxis anzuwenden«, sagt sie. Laut dem Artikel bearbeitet der IDSG derzeit mit steigender Tendenz etwa 30 Fälle pro Jahr. Im Porträt erfährt man auch einiges über das übergreifende Thema ihrer Forschung: kirchliche Rechtskultur.

Jacques Delors als Vater des Verhältnisses der EU zu den Religionen

Die Bedingung der Möglichkeit von Art. 91 DSGVO ist Art. 17 AEUV – dass die Europäische Union sich darauf verpflichtet hat, die jeweiligen religionsverfassungsrechtlichen Systeme der Mitgliedsstaaten zu achten, begründet die Ausnahmeregelung für kirchlichen Datenschutz. Die französische Zeitschrift Esprit erinnert daran, dass Art. 17 AEUV auf den kürzlich verstorbenen Jacques Delors und sein Verständnis der Rolle der Religionen in der EU zurückgeht. Delors habe ein ganz anderes Verständnis als der damalige Papst gehabt: »Johannes Paul II. war sehr für die symbolische Präsenz des Christentums im Vertrag über eine Verfassung für Europa, während dies für Delors eine zweitrangige Frage war. Er war mehr an einem Dialog zwischen der Kommission und den Kirchen über die aus seiner Sicht wichtigsten Themen interessiert: die Bekämpfung der Armut, die Erweiterungen der Europäischen Gemeinschaften und die Frage der Arbeitslosigkeit.«

Art. 17 AEUV kodifiziert die Gespräche zwischen EU-Kommission und Religionsvertreter*innen, die in der Amtszeit von Delors als Kommissionspräsident begannen. Esprit zieht aber ein nüchternes Fazit des institutionalisierten Dialogs: »Obwohl das Niveau der zuständigen Beamten hoch ist, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Bedeutung dieses Dialogs für die Europäische Kommission eher gering ist.« Das führt zu der Ironie, dass die handgreiflichste Wirkung von Art. 17 AEUV die Möglichkeit kirchlichen Datenschutzes und damit die Übertragung quasistaatlicher Kompetenzen ist – nicht unbedingt das, was Esprit als auf den Vorstellungen von Delors wurzelnde Visionen der EU beschreibt: »Die Europäische Union hat eine agnostische Form des Säkularismus angenommen – sie geht auf liberale Weise mit Religionen um, betrachtet sie als Teil zivilgesellschaftlicher Organisationen und zielt darauf ab, diese zu entpolitisieren.«

Auf Artikel 91

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