Das neue Standardwerk für Social-Media-Bürgerkommunikation

Social-Media-Management ist der spannendste Job in einer Behörde – dass die beiden Autor*innen von »Social Media in Behörden«(Affiliated Link) davon überzeugt sind, merkt man dem Buch an: Die über 400 Seiten lesen sich leicht und machen Lust, selbst gute dialogische Social-Media-Arbeit zu machen. Die eigentliche Zielgruppe sind Behörden – da haben Christiane Germann, die selbst 15 Jahre lang Beamtin war und in verschiedenen Bundesbehörden für Social-Media-Management zuständig war und heute die Agentur und das gleichnamige Blog Amtzweinull betreibt, und Wolfgang Ainetter, der als Kommunikationschef im Verkehrsministerium das »Neuigkeitenzimmer« aufgebaut hat, viel Erfahrung und einen hervorragenden Überblick über typische Probleme, kommunikative Herausforderungen und best-practice-Lösungen.

Coverfoto von »Social Media für Behörden«
Christiane Germann und Wolfgang Ainetter: Social Media für Behörden: Wie Bürgerkommunikation heute funktioniert. Rheinwerk-Verlag 2021. 423 Seiten, 49,90 Euro. (Affiliated Link) (Coverfoto: Rheinwerk-Verlag)

Interessant ist das Handbuch aber nicht nur für staatliche Behörden. Die Diagnose, dass viele Behörden recht analoge Leitungen haben, dass hierarchische, bürokratische und traditionelle Organisationen sich oft schwertun mit der Geschwindigkeit ebenenübergreifender Kommunikation, trifft eben nicht nur auf Behörden zu – gerade für kirchliche Kommunikation, die oft in sehr behördenartigen Strukturen stattfindet, finden sich einige wertvolle Impulse. (Und weil dieses Buch auch in die Handbibliothek von Kommunikationsabteilungen von Bistümern und Landeskirchen gehört, wird es trotz wenig Datenschutzbezug hier besprochen.)

Social Media wird dabei nicht als Add on verstanden, sondern als unerlässlicher Teil von Institutionenkommunikation: Wer Menschen erreichen will, muss da kommunizieren, wo Menschen sind, und das in einer angemessenen Form: »Ämter müssen künftig viel stärker auf die Interessen, Wünsche und Gewohnheiten ihrer Zielgruppen achten. Kann eine Behörde ihre Informationspflicht erfüllen, wenn die Nachricht die Zielgruppen gar nicht erreicht?« Ein zentraler Appell ist daher, Social Media ernstzunehmen: Nicht als Anhängsel einer Presseabteilung, sondern auf Augenhöhe mit den »klassischen« Kommunikationskanälen – bis hin zur hierarchischen Einordnung auf Augenhöhe mit den klassischen Sprecher*innen-Jobs. Denn darum geht es: Sprechen für die Institution. »Fakt ist: Community Management unterscheidet sich nicht wesentlich vom ›normalen‹ Behörden-Kontakt mit Bürger*innen und anderen Zielgruppen. Ämter haben tagtäglich mit Menschen zu tun – sei es in persönlichen Terminen, über E-Mails, am Telefon oder auf Veranstaltungen. Community Management (auf all diesen Wegen) ist in der DNA der öffentlichen Verwaltung fest verankert!«

Das Buch besteht aus sechs Teilen. Der erste Abschnitt, »Wie mache ich meine Behörde fit für Social Media?«, schafft Grundlagen: Wie analoge Chef*innen überzeugen? Wie den zusätzlichen Personalbedarf, den gute Arbeit braucht, rechtfertigen? Welche Talente braucht es? Zentral ist für die Autor*innen die Idee eines Behörden-Newsrooms, in dem im Idealfall mehrere Leute Themen im Blick haben und für die jeweiligen Kanäle aufbereiten und Kommunikation und Rückkopplung in der Behörde sicherstellen. Hier merkt man, dass die Autor*innen wirklich wissen, wie Organisationen funktionieren, und schon selbst einige derartige Projekte geleitet oder begleitet haben: Sehr praktisch, mit Checklisten, Praxisbeispielen und Visualisierungen wird das Organisationsprinzip deutlich und dürfte so gut auf die eigene Organisation übertragbar werden.

Der zweite große Abschnitt handelt von Community Management: »Social Media ist die Bürgerkommunikation von heute« ist die zentrale These: Angst-Themen wie Hass im Netz und Shitstorms werden thematisiert, vor allem aber die Idee einer dialogischen Kommunikation, die nicht nur die eigenen Kanäle im Blick hat, sondern auch die Orte im Netz, an denen über die eigene Behörde geredet wird, etwa lokale Facebook-Gruppen: Die Hälfte der Arbeitszeit im Community Management, so empfehlen die Autor*innen, soll außerhalb der eigenen Fanpage investiert werden, um die Zielgruppe dort zu erreichen, wo sie ist. Abschnitt drei befasst sich mit der »perfekten Social-Media-Strategie für meine Behörde« – und beginnt mit der Zielformulierung: Wozu will ich das überhaupt? Welche Ziele habe ich, wie messbar sind die? Welche Zielgruppen gibt es? Welches Netzwerk passt dazu? Und wenn das alles geklärt ist: Wie werden Themen spannend erzählt?

Durchweg ist das gerade erschienene Buch sehr aktuell; die Corona-Krise spielt eine große Rolle. Der Abschnitt zur Krisenkommunikation leistet daher nicht nur einen allgemeinen Überblick, sondern auch eine hochaktuelle Bestandsaufnahme, wie verschiedene Behörden die Corona-Krise kommunikativ gemeistert haben. Hier wie im ganzen Buch sind zahlreiche Screenshot gelungener (und weniger gelungener) Inhalte zu finden – das hervorragende theoretische Gerüst bekommt viel Farbe durch Beispiele aus der freien Wildbahn, dazu kommt der Mut zu klaren Ansagen: dass »Terminbegleitungs-Posts« sterbenslangweilig sind und niemand noch mehr ältere Herren in Anzug vor Flagge im Amtszimmer auf Sharepic-Kacheln mit Pressemitteilungsschnipseln sehen will, wird mehrfach wiederholt. Zurecht. »Erst wenn Sie herausgefunden haben, warum Sie eigentlich in den sozialen Medien sind und wen Sie dort ansprechen möchten, sollten Sie sich mit den Inhalten beschäftigen«, heißt es an anderer Stelle – man merkt, dass die Autor*innen typische Fehler und Planlosigkeiten aus der Beratungspraxis kennen.

Zu einer der Kernthesen gehört die, dass Menschen besser als Institutionen funktionieren – »Nichts interessiert den Menschen so sehr wie der Mensch«, wird Claus Jacobi zitiert, der (etwas penetrant) fast immer mit Beinamen wie »Jahrhundert-Journalist« gern und ausführlich zitiert wird. Der fünfte Abschnitt befasst sich daher mit dem »Corporate Influencer in der Behörde«: Wie können Leitungen, aber auch alle Mitarbeiter*innen, die Kommunikation ihrer Institution unterstützen? Welchen Rahmen braucht es dafür? Am Schluss des Buches stehen sechs Best-practice-Beispiele von sehr unterschiedlichen Behörden: Von der Polizei über eine Kommune bis zu einer Stadtbibliothek werden gute Kommunikationskonzepte vorgestellt und gewürdigt; die Bandbreite macht Mut, auch wenn man selbst nur wenig Budget und Personal hat.

Social Media wird in dem Handbuch konsequent aus dem Mediennutzungsverhalten von echten Menschen und aus dem Kommunikations- und Bürgernäheauftrag von Behörden hergeleitet. Dafür wird stark und überzeugend argumentiert. »Krisenkommunikation auf Social Media ist nichts anderes, als Menschen zu helfen«, ist eines der vielen guten Argumente. Social Media wird komplett aus diesem Kommunikationsziel heraus legitimiert. Kaum thematisiert wird die für Behörden relevante Frage, ob das eigentlich auch legal ist – gerade für Behörden (die jüngst angekündigte Facebook-Offensive des Bundesdatenschutzbeauftragten ist ein Beispiel) ist aber auch diese Frage im Entscheidungsprozess wichtig. Im Buch werden rechtliche Fragen, auch nach der Einstiegsentscheidung, komplett wegdelegiert: »Dieses Fachbuch ist ein kommunikativer Ratgeber. Bei rechtlichen Fragen können Ihnen die Juristinnen und Juristen in Ihrem Haus oder die zuständigen Datenschutzbeauftragten helfen«, heißt es an einer Stelle. (Zumindest ein Literaturhinweis, etwa auf Christian Eggers einschlägigen und empfehlenswerten »Quick Guide Social-Media-Recht der öffentlichen Verwaltung«(Affiliate Link), wäre hilfreich gewesen.) An anderer Stelle wird recht pragmatisch mit dem Risiko einer aufsichtsbehördlichen Weisung umgegangen: »Verbieten kann [der*die behördliche Datenschutzbeauftragte] Ihnen Social Media übrigens nicht – theoretisch könnte das nur die Bundes- oder Landesdatenschutzbehörde. Theoretisch. Denn in der Praxis weiß jeder, dass moderne Behörden-Kommunikation ohne Social Media nicht möglich ist.« Ob die Prognose zutrifft, dass das auch so bleibt (»Dafür ist Facebook für die amtliche Kommunikation zu wichtig. Insbesondere seit Corona ist das allen Beteiligten klar.«), wird sich zeigen.

Schwächen hat das Buch kaum. Einige der Inhalten sind aus Blogposts der Autor*innen entstanden (teilweise hier verlinkt), so dass der Stil oft etwas atemlos ist – das bloggige Format mit vielen Aufzählungen ist aber auch eingängig und lebendig. Gelegentlich hätte man sich ein etwas stringenteres Lektorat gewünscht, etwa bei den Faktensammlungen zu den unterschiedlichen Netzwerken: Warum ist es bei manchen relevant, wie viele Mitarbeiter das Unternehmen hat, bei anderen nicht? Braucht es heute, 2021, wirklich die Herleitung des Namens YouTube aus seinen Bestandteilen? Das wirkt wie Zeilenschinderei. Durchweg wird viel verwiesen, zitiert, auf Quellen hingewiesen. Das ist gut, aber nicht immer einheitlich und nachvollziehbar belegt. Manchmal gibt es beispielsweise kuriose Zitate, wenn etwa bei den Tipps zur Podcast-Technik etwas unverbunden ein etwas beliebig ausgewählt wirkender Welt-Artikel angeführt wird, der anscheinend ein Fazit eines Tests von drei Mikrofon-Modellen ist, die aber gar nicht genannt werden – und den man mangels Quellenangabe nicht nachlesen kann. Dass Podcasts keinen Rückkanal für Kommentare oder Likes bieten, stimmt in dieser Pauschalität nicht, und wenn, hätte es für diese Aussage kein wörtliches Zitat aus einem nicht näher bezeichneten Artikel im »PR Magazin« bedurft. Das sind Kleinigkeiten, die der ansonsten uneingeschränkten Empfehlung aber keinen Abbruch tun.

Fazit

Der Untertitel des Handbuchs verspricht zu erklären, »wie Bürgerkommunikation heute funktioniert« – und das wird eingelöst. Praxisorientiert, erfahrungsgesättigt und begeisternd, mit vielen Beispielen, Tipps und Checklisten. Trotz der mit Behörden doch sehr spitzen Zielgruppe lassen sich auch in anderen Sektoren einige der Inhalte adaptieren – gerade da, wo im nichtstaatlichen Bereich behördenartig-traditionell gearbeitet wird.

Obwohl es eindeutig ein Praxisratgeber ist, ist das Buch zwischen den Zeilen auch ein Plädoyer für »good governance« und ein bürgerorientiertes und im besten Sinn demokratisches Verwaltungs-Mindset: Gerade die Einstiegskapitel lohnen daher nicht nur für die Fachleute in den Kommunikationsabteilungen, sondern auch für die Leitungsebene, die ihre Institution zeitgemäß dialogisch aufstellen will.

Christiane Germann und Wolfgang Ainetter: Social Media für Behörden: Wie Bürgerkommunikation heute funktioniert. Rheinwerk-Verlag 2021. 423 Seiten, 49,90 Euro. (Affiliated Link)

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