»Digitale Nachhaltigkeit ist nicht nur Konservation, sondern Empowerment«

»Digitale Nachhaltigkeit« will Verantwortung ins Digitale bringen. Der Verein »Linux User im Bereich der Kirchen« (LUKi e. V.) will diese Form der Nachhaltigkeit stärken: »Digitale Ressourcen werden dann nachhaltig verwaltet, wenn ihr Nutzen für die Gesellschaft maximiert wird, sodass die digitalen Bedürfnisse gegenwärtiger und zukünftiger Generationen gleichermaßen erfüllt werden«, ist eine der Definitionen, die das Projekt des LUKI anwendet. Um digitale Nachhaltigkeit in Organisationen zu bringen, zertifiziert das Projekt Institutionen, die sich auf Grundsätze der Nachhaltigkeit verpflichten, zuletzt das Katholisch-Soziale Institut in Siegburg.

Jonathan Berschauer und das Logo des Projekts »Digitale Nachhaltigkeit«, ein stilisierter Baum, der im Stil von Schaltkreisen dargestellt ist.
Jonathan Berschauer hat in Paderborn und Freiburg Theologie und in Freiburg und Stuttgart Management und Führungskompetenz studiert. Sein Theologiestudium hat er mit einer Arbeit über die ethische Bewertung von Free/Libre Open Source Software abgeschlossen. Nach dem Theologiestudium war er im Bereich Personal- und Organisationsentwicklung und strategischem Management tätig, 2021 wurde er im Erzbistum Paderborn zum Priester geweiht. Heute ist er Vikar in Lippstadt und koordiniert das Projekt »Digitale Nachhaltigkeit«. (Foto: Thomas Throenle/Erzbistum Paderborn; LUKi e.V.; Montage fxn)

Das Projekt wird koordiniert von Jonathan Berschauer. Der gebürtige Tübinger ist Vikar im Erzbistum Paderborn und hat sich im Rahmen seines Theologiestudiums mit freier Software im Kontext der christlichen Gesellschaftslehre auseinandergesetzt. Im Interview erklärt er, was digitale Nachhaltigkeit ist – und was man selbst tun kann, um digital nachhaltiger zu handeln.

Frage: Wie kam es dazu, dass Du dich für digitale Nachhaltigkeit einsetzt?

Jonathan Berschauer: Ich war schon immer ein Technikfreund, in meiner Jugend bin ich irgendwann zu Linux gekommen. Mir wurde schnell klar, dass das nicht nur eine nette technische Spielerei ist, sondern dass tatsächlich auch eine Philosophie damit verbunden ist. Im Theologiestudium ist mir aufgefallen, dass man sich mit Open-Source-Software quasi noch gar nicht theologisch befasst hat. Deshalb habe ich dann meine Abschlussarbeit im Kontext der christlichen Soziallehre zu digitaler Nachhaltigkeit geschrieben.

Frage: Und wie wurde aus der Abschlussarbeit das Projekt »Digitale Nachhaltigkeit«?

Jonathan: Ich war damals schon im LUKi aktiv und habe meine Ergebnisse eingebracht. Das hat gleich sehr gut gepasst: Wir haben festgestellt, dass wir zwar praktisch ganz selbstverständlich Open-Source-Software einsetzen, aber dass man das noch besser begründen könnte – dass wir nicht nur instinktiv das Richtige machen, sondern das auch vernünftig erklären können.

Frage: Wie erklärt man digitale Nachhaltigkeit?

Jonathan: Der Begriff »Nachhaltigkeit« bedeutet ursprünglich, Güter so zu nutzen, dass zukünftige Generationen sie mindestens genauso gut wie die aktuelle Generation verwenden können. Das klassische Beispiel ist die Forstwirtschaft: Wenn man den Wald einfach fällt, hat man jetzt viel Holz, später nichts mehr. Deshalb braucht es eine nachhaltige Bewirtschaftung. Digitale Nachhaltigkeit bezieht sich nicht auf stoffliche Güter wie Bäume, sondern auf immaterielle Güter wie Software, Bilder, Texte – also vor allem Wissensgüter. Es geht dabei nicht nur um die Erhaltung. Es geht nicht nur darum, ein gutes Archivsystem zu haben, in dem Daten dauerhaft liegen. Es geht auch darum, wie diese Daten für nachfolgende Generationen nutzbar gemacht werden können. Und wenn Daten für nachfolgende Generationen nutzbar sind, dann sind sie auch für die aktuelle Generation zugänglicher. Damit hat digitale Nachhaltigkeit auch eine soziale Wirkung: Zugängliche Daten ermächtigen Menschen, zum Beispiel im globalen Süden, Daten zu nutzen und an der digitalen Welt teilzuhaben. Digitale Nachhaltigkeit ist nicht nur Konservation, sondern Empowerment.

Frage: Warum liegt der Fokus auf freien Lizenzen? In den zehn Prinzipien geht es fast nur darum. Ökologische Aspekte kommen höchstens indirekt zur Sprache.

Jonathan: Das hat auch etwas mit der Genese zu tun. Wir kommen stark aus dem Open-Source-Software-Bereich. Als wir den Begriff definiert haben, haben wir das in Abgrenzung zu »analoger« Nachhaltigkeit gemacht, weil wir die spezifischen Aspekte der digitalen Nachhaltigkeit stark machen wollten. Natürlich ist es nachhaltig, nicht jedes Jahr einen neuen Computer zu kaufen und stattdessen den alten länger zu verwenden und zu reparieren. Das ist aber noch nichts, was den klassischen Nachhaltigkeitsbegriff übersteigt, auch wenn es natürlich zur umfassend verstandenen digitalen Nachhaltigkeit gehört. Deshalb haben wir uns auf Immaterialgüter fokussiert und die Frage, wie man hier Nachhaltigkeit absichern kann. Das war vor allem eine juristische Frage, und damit kommen schnell freie Lizenzen ins Spiel.

Frage: Mit generativer KI rücken ökologische Fragen als spezifisch digitales Thema aber ganz aktuell stärker in den Fokus: Wie viel und wie produzierte Elektrizität wird für digitale Güter verwendet? Wie viel lässt sich verantworten? Müsste das nicht mittlerweile explizit eine Rolle spielen?

Jonathan: Grundsätzlich schon. Wir arbeiten hier mit Kreisen von digitaler Nachhaltigkeit. Je weiter wir diese Kreise ziehen, umso stärker spielt »analoge« Nachhaltigkeit hinein: Umwelt, natürliche Ressourcen und so weiter. Es ist also auch eine Perspektivfrage. Zugleich ist es auch eine Frage, welche Schwerpunkte man setzt. Wir spezialisieren uns zunächst auf Gerechtigkeitsfragen der Nutzung und Zugänglichkeit von Immaterialgütern, weil hier noch eine Lücke im allgemeinen Nachhaltigkeitsdiskurs war.

Frage: Was auch nicht explizit genannt ist, ist Barrierefreiheit. Freie Lizenzen sind schön und gut, aber sie erhöhen die Zugänglichkeit nicht für alle substantiell, wenn der frei lizenzierte Text als Scan ohne Textlayer in einem PDF steckt oder Software nur als Java-Applet zur Verfügung steht, mit dem Screenreader nicht klarkommen.

Jonathan: Ja, und das kommt auch in manchen Konzeptionen von digitaler Nachhaltigkeit vor. In den an der Universität Bern entwickelten etwa ist Barrierefreiheit ein konkreter Punkt.

Frage: Du hast Dich theologisch damit befasst. In der Theologie kommen Commons-Fragen eher selten vor. Urheberrecht ist kaum ein Thema, und das wenige, was es zum Beispiel im Kirchenrecht dazu gibt – ich denke an die Arbeiten von Winfried Schulz –, macht vor allem ein absolutes aus dem Naturrecht begründetes Eigentumsrecht stark und würde damit freien Lizenzen eher entgegenstehen. Warum sind Gemeinwohlfragen bei Immaterialgütern in der Theologie so unterbelichtet? Oder täuscht der Eindruck?

Jonathan: Nein, das ist genau so. Man merkt hier, dass die Kirche und die Theologie noch nicht wirklich digital denken. Deshalb wird die Analogie zu stofflichen Gütern so stark gemacht. Wenn man die Begründung des Eigentums von Thomas von Aquin eins zu eins ins digitale zieht, kommt man eher zu einem starken Begriff des »geistigen Eigentums« als zu Gemeingütern. Bei Thomas ging es ja darum, dass Eigentum naturrechtlich begründet wird und das Ziel hat, durch Eigentumstitel die angemessene Sorge für die Güter sicherzustellen: Es muss einen exklusiven Besitzer geben, damit das von Gott gegebene Gut erhalten wird. Diese Argumentation trägt bei Immaterialgütern nicht. Immaterialgüter nutzen sich nicht ab und sie sind verlustfrei teilbar. Die Begründung müsste sich also eigentlich genau umkehren: Um digitale Güter zu erhalten, muss man sie teilen. Das sind aber Argumentationsfiguren, die in der Theologie bisher weniger aufgegriffen wurden.

Frage: Zur Theologie kommt die Praxis in der Kirche: Da wird statt Open-Source-Software in der Regel die Standardlösung von Microsoft verwendet.

Jonathan: Ja, es gibt eben Rahmenverträge, die man schon immer hatte, die sind bezahlbar, und jede Änderung würde Geld, Implementations- und Schulungsaufwand kosten. Und wenn dann digitale Nachhaltigkeit gar kein Kriterium in der Beschaffung ist – und das ist sie nicht –, dann wird das auch so bleiben. Ich habe die Hoffnung, dass sich da doch etwas tut. Vor allem im Kontext des Datenschutzes werden Überlegungen, Alternativen zu verwenden, ernsthafter in den Blick genommen.

Frage: Wie könnte man denn in der Kirche institutionell digitale Nachhaltigkeit fördern?

Jonathan: Mit unserer Initiative wollen wir genau das. In einem ersten Schritt bieten wir ganz niederschwellig die Zertifizierung an. Damit schaffen wir einen organisatorischen Rahmen, innerhalb dessen sich kirchliche Institutionen mit digitaler Nachhaltigkeit befassen können. Der erste Schritt, ein Statement zur digitalen Nachhaltigkeit, ist ziemlich einfach – aber sehr wirksam: Wenn man erst einmal aufgeschrieben hat, wie man nachhaltig digital handeln will, kann man sich selbst daran messen. Dazu braucht es aber auch die Leute in der Kirche, die das vorantreiben. Bei Entscheidungsträgern ist da leider oft noch kein Verständnis da. Da braucht es viel Vorarbeit, um überhaupt erst einmal in ethische Diskussionen im Kontext von Software-Beschaffung zu kommen.

Frage: Im Arbeitskontext wird man in der Regel in eine IT-Landschaft hineingesetzt und kann nicht selbst entscheiden, was man anwendet. Was kann man im Arbeitsalltag oder auch im Ehrenamtsalltag und im persönlichen Leben tun, um digitale Nachhaltigkeit zu fördern?

Jonathan: Digitale Güter können zwar nicht übernutzt werden, aber sie können zu wenig genutzt werden. Es hilft also schon, auf digitale Gemeingüter in der eigenen Arbeit zurückzugreifen. Das erhöht auch die Sichtbarkeit, wenn man ein Bild im Arbeitskontext verwendet und an der Bildquelle erkennt, dass es unter einer freien Lizenz steht. Man kann auch selbst Inhalte unter freier Lizenz veröffentlichen oder Rechercheergebnisse aus der Arbeit in der Wikipedia eintragen. Da wo man die Wahl hat – also vor allem im Privaten – sollte man auf Open-Source-Software achten. Das ist auch nicht mit Qualitäts- und Bequemlichkeitseinbußen verbunden: Thunderbird, Firefox, LibreOffice – das kann man alles sehr gut nutzen, auch unter Windows. Im nächsten Schritt kann man gelegentlich etwas zurückgeben. Klar, nicht jeder kann programmieren, aber schon eine gute Fehlermeldung oder ein sinnvoller Featurewunsch können helfen. So stärkt man den Gedanken der digitalen Nachhaltigkeit: Das sind kleine Beiträge für weltweite Gerechtigkeit im Bereich des Digitalen.

Offenlegung: Nachdem das Interview geführt wurde, aber vor Veröffentlichung bin ich Mitglied im LUKi e. V. geworden.

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