Schlechte Nachrichten für Leute, die lieber keinen Direktvertrieb an der Haustür wollen: Die Weitergaben von Kirchenmitgliederdaten für Haustürwerbeaktionen von Kirchenzeitungen ist rechtens. Das hat das Interdiözesane Datenschutzgericht nun entschieden (Beschluss IDSG 13/2023 vom 22. März 2024).
Die Entscheidung ist nicht nur für Kirchenzeitungsverlage eine gute Nachricht: Die Rechtsgrundlage des »kirchlichen Interesses« war bislang einer der weißen Flecken des Datenschutzrechts. Wann und wie genau es herangezogen werden kann, war eher unklar. Nun gibt es erstmals eine Entscheidung, die dafür Kriterien an die Hand gibt.
Der Fall
Ein Bistum hat seiner Kirchenzeitung Namen und Adressen von Gemeindemitgliedern von Gemeinden, in denen per Haustürwerbung neue Abonnent*innen geworben werden sollen. Die Verwendung der Daten für die Haustürwerbung wird über einen Auftragsverarbeitungsvertrag geregelt, die Daten nach der Werbeaktion gelöscht. (Leider werden ausnahmslos alle Beteiligte in der veröffentlichten Entscheidung nur als »X« anonymisiert, so dass etwas unklar ist, wie es genau aussah: Hat die Gemeinde selbst die Werbeaktion gemacht oder hat sie dafür einen Dienstleister eingespannt?)
Nicht so geschickt: An den Türen sollten die Besuchten ihren Namen auf einer Liste der Gemeindemitglieder suchen und durchstreichen. Dabei waren die anderen Einträge der Liste für sie einsehbar. Darüber hat sich eine besuchte Person beschwert.
Aufgrund der wörtlichen Zitate aus Selbstdarstellungstexten lässt sich herausfinden, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den Kirchenboten des Bistums Osnabrück handelt.
Positionen
Das Bistum sieht kirchliches Interesse
Als Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung wurde § 6 Abs. 1 lit. f) KDG angeführt: »Die Grunddienste Seelsorge und Verkündigung lägen im kirchlichen Interesse. Der X in der Herausgeberschaft des Bischofs sei ein Instrument der Seelsorge und Verkündigung.« Zu prüfen sei vor der Weitergabe nur, »ob das Ersuchen im Rahmen der Aufgaben der empfangenden kirchlichen Stelle liege«, und das sei bei der Kirchenzeitung der Fall.
Eine unterschiedslose Haustürwerbung bei allen Haushalten, für die es naturgemäß keine personenbezogenen Daten braucht, sei nicht effizient. Dass die Kirchenzeitung Geld kostet, stehe ihrer Bedeutung für die Seelsorge auch nicht entgegen
Die Aufsicht sieht rein wirtschaftliche Tätigkeit
Die Datenschutzaufsicht stellte beim Bistum einen Datenschutzverstoß fest, sprach eine Beanstandung aus und untersagte die Offenlegung von Daten zum Zweck der Haustürwerbung. Auch gegen den Verlag der Bistumszeitung erging eine Beanstandung, verbunden mit der Anordnung, die erhaltenen Daten zu löschen.
Das Interesse des Verlags an den Daten sei wirtschaftlich, kein kirchliches Interesse: »Die Haustürwerbung könne nicht als Teil der Aufgaben Seelsorge und Verkündigung angesehen werden. Die Daten würden zu primär wirtschaftlichen Zwecken verarbeitet.« Dafür spreche auch die Darstellung der wirtschaftlichen Situation auf der Verlagswebseite, wo betont wird, dass die Abo-Erlöse den Verlag wirtschaftlich unabhängig machen.
Das Argument, dass ohne die Meldedaten ein Weg der Glaubensverkündung und Seelsorge abgeschnitten sei, ließ die Aufsicht nicht gelten. Mit Pfarrblättern, Gemeinde-Websites und Vermeldungen in Gottesdiensten könne man den Zweck auch ohne die Verwendung von Mitgliederdaten erreichen.
Die Entscheidung
Das Gericht folgte dem Bistum und seinem Verlag. Die Offenlegung der Mitgliederdaten gegenüber dem Verlag sei zulässig, die Erfordernisse der Rechtsgrundlage »kirchliches Interesse« erfüllt: »Die Offenlegung zum Zweck der Haustürwerbung ist erforderlich, damit die Antragsteller ihre kirchlichen Aufgaben wahrnehmen können.« Auch im Sinne des Bundesmeldegesetzes sei die Offenlegung gerechtfertigt. Die Kirchenzeitung gehöre in den Bereich der verfassungsrechtlich geschützten Aufgaben der Kirche, auch wenn hier wirtschaftliche Mittel gewählt werden: »Zu den geschützten kirchlichen Aufgaben können auch privatrechtliche Rechtsgeschäfte gehören, die als Durchgangsstadium erforderlich sind, um den kirchlichen Zweck zu erfüllen.« Das verhalte sich analog zu Kleidersammlungen, bei denen Kleider verkauft und der Erlös mildtätigen Zwecken zugeführt wird, anstatt dass die gesammelten Kleider direkt weiterverteilt werden.
Nach Ansicht des Gerichts bedient sich das Bistums des Verlangs in seiner Trägerschaft, um die im Kirchenrecht (c. 1254 CIC) definierten kirchlichen Zwecke des Apostolats, der Sendung und der Verkündigung zu erfüllen. Die wirtschaftliche Tätigkeit tue dem keinen Abbruch. Dazu kommt, dass der Verlag als gemeinnützig anerkannt ist und damit nicht auf Gewinne abzielt.
Mildere Mittel als die Datenverwendung zur Haustürwerbung sah das Gericht nicht, die weniger invasive Zusendung von Werbematerial per Post sei nicht gleich gut geeignet. Das Gericht nimmt an, dass bei Werbung per Post die Abosteigerungen geringer ausfallen würden. Zudem sei die Eingriffsintensität eher gering: » Der geringe Grad der Einschränkung der Grundrechte der Kirchengemeindemitglieder ergibt sich zunächst aus dem Umstand, dass es sich nur um wenige Daten handelt, die zudem teilweise aus anderen öffentlich zugänglichen Quellen ersichtlich sind. Außerdem betrifft die Haustürwerbung ausschließlich Mitglieder der katholischen Kirche und die Kirchenleitungen haben ein legitimes Interesse, mit den Mitgliedern ihrer öffentlich-rechtlichen Körperschaft in eine Kommunikation einzutreten«. Das gelte erst recht, da der Verlag satzungsmäßig, organisatorisch und von seiner Zielsetzung her eng mit der Kirchenleitung verbunden sei. Und schließlich seien Türsammlungen bei den Sternsingern und anderen Anlässen üblich.
Unerheblich war, dass im konkreten Fall eine Liste eingesehen werden konnte; hier hatten die Verantwortlichen das Problem schon im laufenden Verfahren abgestellt.
Im Ergebnis unterliegt die Aufsicht in allen Punkten. Weiterhin dürfen Bistümer für Abokampagnen Meldedaten an Kirchenzeitungen weitergeben.
Fazit
Erstmals veröffentlicht das IDSG eine Entscheidung, in der die bisher reichlich dunkle Rechtsgrundlage des »kirchlichen Interesses« eine tragende Bedeutung hat. Im vorliegenden Fall wurde das kirchliche Interesse durch die Zulässigkeit von Zwischenschritten weit ausgelegt. Eine explizite Definition der Rechtsgrundlage findet sich nicht, wohl aber Anhaltspunkte, wann es zum Tragen kommt. Dass es sich bei einer kirchlich getragenen Kirchenzeitung um Seelsorge und Glaubensverkündung handelt, wird nicht bezweifelt. Das Gericht spricht von »in der Zuständigkeit […] liegenden Aufgaben« sowohl beim Bistum wie beim Verlag, deren jeweilige Aufgaben wurden als kirchlich anerkannt.
Grundsätzlich macht das Gericht zwei Argumentationsstränge auf, einen knappen kirchlichen und einen ausführlichen verfassungsrechtlichen. Kirchlich werden die kirchlichen Zwecke aus dem Vermögensrecht stark gemacht, die in c. 1254 § 2 CIC aufgezählt werden: »die geordnete Durchführung des Gottesdienstes, die Sicherstellung des angemessenen Unterhalts des Klerus und anderer Kirchenbediensteter, die Ausübung der Werke des Apostolats und der Caritas, vor allem gegenüber den Armen«. Verfassungsrechtlich werden »Seelsorge und Verkündigung sowie die Werbung für den eigenen Glauben, caritative Aktivitäten und ganz allgemein die Pflege und Förderung des Bekenntnisse« angeführt unter Verweis auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie auf Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Was unter diese Kriterien fällt, ist kirchliche Aufgabe – und eröffnet damit die Rechtsgrundlage des kirchlichen Interesses.
Im Ergebnis darf man wohl annehmen, dass es beim kirchlichen Interesse um zugewiesene Aufgaben geht, die aber weit gefasst sind und in denen Zwischenschritte auch eingeschlossen sind. In anderen Fallkonstellationen dürfte das eine erhebliche Erleichterung der Datenverarbeitung bedeuten. Anhand dieser Kriterien dürfte beispielsweise ziemlich viel in der Sakramentenpastoral (etwa die Kommunikation mit Firm- und Erstkommunionsgruppen und katechet*innen) über kirchliches Interesse abzuwickeln sein.
(Aus medienpolitischer Sicht lässt sich die Frage stellen, ob sich die Kirchenzeitung damit einen Gefallen tut, dass sie ihre journalistische Tätigkeit so eng an die Verkündigung bindet. Wirtschaftlich war das hier erfolgversprechend, publizistisch engt das den Raum für kritische und unabhängige Berichterstattung ein.)