Die Landesdatenschutzaufsicht Sachsen-Anhalts hat den Aufschlag gemacht und als erste mitgeteilt, dass sie sich für Gliederungen und Einrichtungen von Jehovas Zeugen in ihrem Bundesland für zuständig erachtet. Ein Alleingang? Eine Abfrage unter allen Landesdatenschutzaufsichten zeigt: Nein.

Das Datenschutzrecht von Jehovas Zeugen und damit zwangsläufig ihre eigene Datenschutzaufsicht wird auf weiter Flur von den Landesdatenschutzaufsichten nicht anerkannt. Wie schon in anderen Fällen gibt das Stichtags-Kriterium aus Art. 91 Abs. 1 DSGVO den Ausschlag – und auch im ewigen Zuständigkeitsstreit zwischen Hessen und Berlin gibt es ein Ergebnis.
Wann gilt religiöses Datenschutzrecht?
Art. 91 DSGVO gibt den Rahmen vor
Um die Position der Aufsichten zu verstehen, braucht es einen Blick in Art. 91 DSGVO. Dort ist geregelt, unter welchen Bedingungen Religionsgemeinschaften ein eigenes Datenschutzrecht haben können:
»Wendet eine Kirche oder eine religiöse Vereinigung oder Gemeinschaft in einem Mitgliedstaat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung umfassende Regeln zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung an, so dürfen diese Regeln weiter angewandt werden, sofern sie mit dieser Verordnung in Einklang gebracht werden.« (Art. 91 Abs. 1 DSGVO)
Haben Religionsgemeinschaften ein eigenes Datenschutzrecht gemäß Abs. 1, können sie eine eigene Datenschutzaufsicht errichten (Absatz 2).
Der Artikel ist dem Wortlaut nach als Stichtagsregelung ausgelegt: Darauf berufen können sich nur Religionsgemeinschaften, die bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der DSGVO (24. Mai 2016, vgl. Art. 99 Abs. 1 DSGVO) umfassende Regeln angewandt haben. Sind diese beiden Kriterien gegeben, können die bestehenden Regelungen mit der DSGVO in Einklang gebracht werden.
Was genau »Einklang« bedeutet und wann Regeln »umfassend« sind, ist nicht definiert und wird kontrovers diskutiert. (Mehr zu Inhalt und Kritik hier.) Die DSK hat einen Beschluss zu spezifischen Aufsichtsbehörden gefasst, der im wesentlichen die Rechtslage wiedergibt und feststellt, dass das KDG und das DSG-EKD die Anforderungen erfüllen.
Prüfschema der Aufsichten
In der Praxis wenden Landesdatenschutzaufsichten soweit ersichtlich im wesentlichen das Prüfschema an, die Stichtagsregelung zu überprüfen – wenn zum Stichtag kein bestehendes umfassendes Datenschutzrecht vorlag, braucht man das aktuelle Datenschutzrecht erst gar nicht zu überprüfen.
Der einfachste Fall ist, dass es schlicht kein Datenschutzrecht gab. Gab es welches, werden die in der Kommentarliteratur vertretenen Positionen angewandt, die vor Gericht bislang nur im Fall der SELK (noch nicht rechtskräftig) geprüft wurden. Das Urteil des VG Hannover zur SELK enthält einen recht umfassenden Katalog an Kriterien.
Die Positionen der Aufsichten
Angefragt wurden alle 17 Landesdatenschutzaufsichten – 17, weil theoretisch auch der für den öffentlichen Bereich zuständige BayLfD angesichts des Körperschaftsstatus von Jehovas Zeugen theoretisch als zuständig erachtet werden kann. (Theoretisch aufgrund der bayerischen Spezialposition, die zu aufsichtsfreien Räumen für öffentlich-rechtlich verfasste Religionsgemeinschaften führt.)
Keine Position in Bremen und Bayern
Auf keine Antwort wollten sich Bremen und das BayLDA festlegen. Beide hatten noch nichts mit Jehovas Zeugen zu tun. Während man in Bayern daher »von einer Darstellung von für uns derzeit lediglich abstrakten Rechtsauffassungen absehen« wolle, gab Bremen immerhin eine Richtung vor: die Auffassung der Landesbeauftragten Sachsen-Anhalts stelle auch für Bremen eine »wichtige Orientierung« dar, da die DSGVO auf eine einheitliche Anwendung ziele.
Einheitliche Positionen beim Rest
Ein Großteil der restlichen Behörden hat sich auf die Sammelanfrage hin auf eine in der Sache einheitliche Antwort verständigt (hier in der Fassung der Antwort aus Schleswig-Holstein):
»Wir gehen davon aus, dass die Zeugen Jehovas in Deutschland K.d.ö.R. hinsichtlich ihrer Verarbeitung personenbezogener Daten an die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gebunden ist und damit der Aufsicht im Rahmen des Zuständigkeitsbereichs unserer Behörde untersteht. Die Voraussetzungen der Privilegierung des Art. 91 DSGVO sind nicht erfüllt, da die Religionsgemeinschaft zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der DSGVO keine umfassenden Regeln zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten angewendet hat.«
Zuständig sahen sich demnach Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Der BayLfD und die thüringische Aufsicht haben sich trotz mehrfacher Anfrage nicht zurückgemeldet.
Details in Sachsen-Anhalt und im Saarland
Besonders ausführliche Antworten gab es aus Sachsen-Anhalt und dem Saarland mit jeweils unterschiedlichen Aspekten. Sachsen übernimmt wörtlich die Argumente, die schon Sachsen-Anhalt am alten Datenschutzgesetz Jehovas Zeugen geäußert hat.
Die Aufsicht im Saarland geht in ihrer Antwort nur nebenbei auf die Geltung des Datenschutzrechts von Jehovas Zeugen ein und spricht von einer »nach hiesiger Sicht nicht gegebenen Privilegierung nach Art. 91 DSGVO«. Sie legt den Schwerpunkt auf die Frage, ob Einrichtungen und Gliederungen von Jehovas Zeugen eigene Verantwortliche sind und beantwortet die Frage unter Rückgriff auf das Eigenrecht der Religionsgemeinschaft:
»Diese Rechtsauffassung rührt im Wesentlichen aus der nach hiesiger Sicht nicht gegebenen Privilegierung nach Art. 91 DSGVO und dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 8 Abs. 1, Abs. 5 des Statutes der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeigen [sic!] in Deutschland, wonach der Gliederungseinheit der Versammlung religionsrechtliche Selbstständigkeit zukommt. Auch die auf die Versammlung anwendbare Versammlungsordnung (VersO) legt den Schluss nahe, dass dieser Gliederungseinheit eine weitgehende religiöse und administrative Freiheit zukommt, was in datenschutzrechtlicher Sicht die Annahme einer Verantwortlichkeit nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO rechtfertigt.«
Verfahren mit Bezug zu Jehovas Zeugen
Eine Auswirkung auf die Praxis haben die Positionen nur dann, wenn eine Aufsicht auch tatsächlich gegen Einrichtungen oder Gliederungen von Jehovas Zeugen tätig wird. Nur die Minderheit der Landesdatenschutzbeauftragten hatte dazu aber überhaupt die Gelegenheit. Berlin hat ein nicht abgeschlossenes Verfahren, in Niedersachsen gab es eine Beschwerde, das Verfahren wurde allerdings auf Wunsch des Beschwerdeführers eingestellt, in Sachsen-Anhalt ist eine Beschwerde anhängig. Bescheide sind noch nirgends ergangen.
Im Saarland gab es Maßnahmen im Kontext des Verkündigungsdienstes: »an verkündende Einzelpersonen, die Dritte aus eigenem Antrieb heraus postalisch adressiert haben, wurden mit Blick auf die Einhaltung von Transparenzvorgaben Hinweise und Warnungen nach Art. 58 Abs. 2 lit. a DSGVO gesandt.«
Zuständigkeit für Körperschaft geklärt
Über Jahre wurden sich die Landesdatenschutzaufsichten von Hessen und Berlin nicht einig, wer nun für die Körperschaft des öffentlichen Rechts von Jehovas Zeugen zuständig ist – die Körperschaftsrechte wurden zuerst am Sitz Berlin verliehen, das nach eigener Beschreibung »Zweigbüro und Verwaltungszentrum« befindet sich in Selters im Taunus.
Im Zuge der Recheche zu den Gliederungen teilte die Berliner Aufsicht nun mit, dass die Sache nun geklärt sei: Berlin, nicht Hessen erachtet sich für die Körperschaft zuständig.
Die Position von Jehovas Zeugen (Nachtrag)
Am 23. Oktober 2025 teilte ein Sprecher von Jehovas Zeugen mit, dass die Religionsgemeinschaft die Einschätzung der Landesdatenschutzbeauftragten von Sachsen-Anhalt nicht teile. Kontakt bestehe auch nicht, die Aufsicht habe sich nicht an sie gewendet. Hat der Vorgang Konsequenzen für die Anwendung des eigenen Rechts? »Nein, aus unserer Sicht hat sich an diesem Status nichts geändert«, so der Sprecher.
Fazit
Angesichts der großen Einmütigkeit hinsichtlich der Zuständigkeit der Landesdatenschutzaufsichten für die örtlichen Gliederungen und Einrichtungen von Jehovas Zeugen dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis ein rechtsmittelfähiger Bescheid ergeht – sei es bei den wenigen bereits laufenden Verfahren, sei es bei neuen Verfahren. Dann dürfte es sehr wahrscheinlich sein, dass – nach dem Datenschutzrecht der SELK – ein weiteres Datenschutzgesetz einer Religionsgemeinschaft vor Gericht geprüft wird. Bislang ist das nur oberflächlich durch das VG Berlin geschehen, wo ohne weitere Ausführungen von einer Geltung ausgegangen wurde.
Jehovas Zeugen selbst haben sich auf mehrfache Nachfrage bislang nicht zur Position Sachsen-Anhalts geäußert; die Datenschutzaufsicht Jehovas Zeugen hat knapp geantwortet, dass sie die Position nicht teilt.
