Heute erscheint das Buch von Andreas Sturm, in dem er seinen Rücktritt als Speyerer Generalvikar und den Übertritt von der römisch-katholischen in die alt-katholische Kirche begründet: »Ich muss raus aus dieser Kirche«(Affiliate link). In einem eindrücklichen Kapitel schildert er darin auch die Auswirkungen der Loyalitätspflichten, die die Kirche bislang ihren Beschäftigten aufnötigt.
Sturm gehörte zu den Generalvikaren, die sich im Februar mit einem offenen Brief an den DBK-Vorsitzenden Bischof Georg Bätzing wandten und eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts forderten. In seinem Buch gibt es nun Hintergründe aus der Praxis dazu – und ein Beispiel, wie zu welcher Kultur der Angst und zu welcher Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten das noch geltende kirchliche Arbeitsrecht führt.
Drei Anlässe aus seiner beruflichen Erfahrung als Kaplan, als Pfarrer und als Generalvikar führt Sturm im Kapitel »Loyalität als Verpflichtung – oder: Wer dient hier eigentlich wem?« an. Als Kaplan erfuhr er, »was Berufseinsteigende in der Gruppe der Pastoralreferenten/- innen unternehmen, damit ja nicht auffällt, dass sie mit einem Partner oder einer Partnerin zusammenleben«. Als Pfarrer begleitet er eine Erzieherin des Pfarrkindergartens bei ihrem Übertritt von der evangelischen in die katholische Kirche – kaum wurde der zentralen Verwaltung der Austritt bekannt, wurde von dort der Prozess der Kündigung wegen des vermeintlichen Verstoßes gegen die Loyalitätspflichten angestoßen.
Die aktuellste Schilderung aus Sturms Zeit als Generalvikar fällt genau ins Berichtsgebiet hier: Zu Beginn der Corona-Pandemie galt es, Kontaktdaten von Beschäftigten zur Nachverfolgung von Infektionsketten ans Gesundheitsamt zu melden. »Ich fand das sehr einleuchtend und sah es eher unkritisch, bis ich in einer Besprechung in kleinem Kreis erfuhr, dass wir genau dies von einigen Mitarbeitenden nicht hätten. Die MAV (Mitarbeitervertretung) machte uns auf diese Tatsache aufmerksam, denn manche Mitarbeitende lebten in Scheidung und hatten eine neue Beziehung begonnen, und aus Sorge, dass wir hier einen Loyalitätsverstoß abmahnen könnten, wurde uns eine Scheinadresse gegeben. Dies betraf möglicherweise auch queere Mitarbeitende«, berichtet Sturm. Die Lösung half nur bedingt: »In der Corona-Situation wurde mit der MAV und dem Datenschutzbeauftragten eine Lösung erarbeitet, die den Einzelnen die Sicherheit gab, dass wir die Daten nicht personalrechtlich verwenden und gleichzeitig eine Warnung im Falle eines Infektionsgeschehens schnell weitergeben konnten. Was wir nicht wirklich gelöst hatten: Die Tatsache, dass dort Menschen Angst vor Kirche hatten, mindestens vor Kirche als Arbeitgeberin. Und dass durch diese Angst Menschen in Heimlichtuerei und in Lügen getrieben wurden.«
Die Beispiele zeigen eindrücklich, welche Konsequenzen die Loyalitätsobliegenheiten der gegenwärtig noch geltenden Grundordnung des kirchlichen Dienstes haben: Nämlich deutlich mehr als nur ungewöhnliche und aus der Zeit gefallene Arbeitsvertragsbestandteile aufzustellen. Die römisch-katholische Kirche greift hochinvasiv in Persönlichkeitsrechte ihrer Beschäftigten ein. Das fällt nicht nur hinter den Grundrechtsschutz eines freiheitlichen Rechtsstaats zurück, sondern selbst hinter das mit Grundrechten nicht gerade reich gesegnete Kirchenrecht, demzufolge es niemandem erlaubt ist, »das persönliche Recht eines jeden auf den Schutz der eigenen Intimsphäre verletzen« (can. 220 CIC).
Wie bereits berichtet soll die Grundordnung nun grundrechtsachtend formuliert werden: »Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, bleibt rechtlichen Bewertungen entzogen«, heißt es im jüngst veröffentlichten Entwurf. Die von Sturm angeführten Beispiele zeigen, dass (bei aller berechtigter Kritik) eine solche Regelung im kirchlichen Arbeitsrecht keine Selbstverständlichkeit, sondern Paradigmenwechsel ist.
Frappierend an Sturm Reflexion der eigenen Arbeit als Kleriker mit Personalverantwortung in der Kirche ist, wie deutlich er die eigene Naivität gegenüber den Auswirkungen des herrschenden Rechts macht: Die Angst der Beschäftigten war für ihn überraschend, die Selbstwahrnehmung in der jeweiligen Machtposition »so sind wir doch nicht«. Aber das Recht ist nun einmal so, die Möglichkeit droht immer, so zu sein. Solche Einblicke machen das Buch Sturms lesenswert auch aus einer an Rechtskultur interessierten Perspektive. Wenn Recht ungerecht ist, muss es geändert werden – auch mit Selbstverpflichtungen oder stillschweigender Nichtanwendung entsteht keine Gerechtigkeit.